Abschuss eines Bombenflugzeuges am 10.04.1945 - Vorbereitung auf den Einsatz

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Vorbereitung auf den Einsatz 

10. April 1945, 16:30 Uhr Ortszeit:

Maxwell James Hibberd, ein gut ausgebildeter Rear Gunner (Heckschütze), bereitet sich auf seinen nächsten Einsatz vor. Noch weiß er nicht, worin das Ziel und die Aufgaben dieses Einsatzes bestehen. Die Bombercrews erhielten erst unmittelbar vor dem Start im sogenannten Briefing den Einsatzbefehl. Die für die RAF (Royal Air Force) typische Geheimhaltung war ihm bewusst. Deshalb schweiften seine Gedanken an seine etwa 15.000 km entfernte Heimat Australien ab. Der Krieg war fast zu Ende und er freute sich mit seinen Kameraden auf das Wiedersehen mit Freunden und Verwandten.

9Rear Turret einer Halifax III der 462 Squ
Abbildung 2: Rear Turret (hinterer Geschützturm) der Halifax (Foto Australian War Memorial, im Folgenden "AWM" abgekürzt)


Der Rear Gunner hatte während des Einsatzes seinen Platz im Rear Turret (hinterer Geschützturm). Er enthielt 4 Browning-Maschinengewehre 0.303 (7,69 mm). Es war eine kalte und einsame Stelle am Ende des Flugzeuges und dazu noch sehr gefährdet. Der Heckschütze bildete die Hauptverteidigung für die Bomber; aber als die deutschen Nachtjäger ihre Taktik änderten und von hinten angriffen, befand sich der Heckschütze in der direkten Feuerlinie. Es kam häufig vor, dass Bomber relativ unbeschädigt vom Einsatz zurückkehrten mit Ausnahme des vernichteten hinteren Geschützturmes. Um die Sicht zu verbessern, entfernten die Schützen oftmals die Schalttafel vor sich und waren nun der Kälte und dem Wind schutzlos ausgeliefert. Mit den Augen zum Feind gerichtet, waren diese professionellen Schützen die Retter vieler Bomberbesatzungen. Hier saß der Schütze oftmals 6 bis 11 Stunden, Arme und Beine zusammengepresst, in der Plexiglaskuppel. Er war vollkommen vom Rest der Besatzung getrennt und sah während des Fluges die "Welt rückwärts ablaufen".

4Crew einer Halifax der 462 Squ. mit Kampfuniformen
Abbildung 3: Eine Mannschaft der 462. Squadron der RAAF in ihren Spezialuniformen vor dem Start (Foto AWM)

Wie jedes Crewmitglied trug auch Hibberd für große Höhen eine Sauerstoffmaske und Kopfhörer für das Bordsprechgerät. Wegen der offenen Geschützstellungen benötigten die sogenannten Air Gunner (MG-Schützen) spezielle Kleidung, um den herrschenden Bedingungen trotzen zu können. Über einem wollenen Unterzeug trug jeder einen elektrisch beheizten Overall. Dann folgte die Uniform, über die eine mit Schaffell gefütterte Fliegerkombination gezogen wurde. Die Männer trugen hohe Schaffellstiefel, grellgelbe Schwimmwesten, Fallschirme und dicke, elektrisch beheizte Handschuhe. Den Kopf schützte eine warme Mütze oder Haube. Derart bekleidet konnte man sich kaum noch bewegen, sodass besonders die schwere Schutzkleidung von vielen Besatzungen nur während der Einsatzphasen unter Flak-Bedrohung an- und danach wieder abgelegt wurde. Bei der Ausführung von Tätigkeiten wie Erster Hilfe und Reparaturen an den Geräten mussten die Handschuhe abgesetzt werden. Hier zählte jede Sekunde, da die Luft im Flugzeug eisig kalt war. In Einsatzhöhen betrug die Temperatur zwischen -40 und -50° C. Erfrierungen waren häufig und nicht selten verloren Besatzungsmitglieder Gliedmaßen.

Hibberd war einer von 20.000 Australiern, die im Zweiten Weltkrieg ihren Dienst beim britischen Bomber Command leisteten. Das Bomber Command war innerhalb der RAF das Oberkommando der britischen Bomberverbände und koordinierte die nächtlichen Flächenangriffe auf deutsche Städte. Das britische Bomber Command bestand aus mehreren Bomber-Gruppen, die die größte taktische Einheit bildeten. Die Bomber-Gruppe wiederum bestand aus 8 bis 24 Squadronen (Staffeln). Zwei bis drei Squadronen bildeten ein Wing. Eine Squadron zählte 6 bis 18 Flugzeuge. Nebenbei bemerkt verlor das Bomber Command allein bei den Angriffen auf die Stadt Leipzig 196 Bomber.

Australien gehörte ebenso wie Kanada und Neuseeland zum Britischen Commonwealth, dessen Staatsoberhaupt der britische König war. Im Kriegsfall hatten diese Länder ein festgelegtes Kontingent an Soldaten zu stellen. So wurde auch Hibberd in Australien für die RAAF (Royal Australien Air Force) rekrutiert und für den Krieg ausgebildet:

17Abb. 3 - Maxwell James Hibberd Anfang 1945 2
Abbildung 4: Maxwell James Hibberd Anfang 1944 (Foto Sammlung der Familie Hibberd)

Hibberd wurde am 22.04.1943 für die Dauer des Krieges einberufen, an der Schule für Funker und Luftschützen ausgebildet und vom 01.03.1944 bis 15.02.1945 in New York, San Francisco und schließlich in Lichfield (England) bei der 27. OTU (Ausbildungseinheit) und der 1652. HCU (Schwere Ausbildungseinheit für Maschinengewehrschützen) in Marston Moor bei Yorkshire zum Heckschützen qualifiziert. Nachdem er mit seinen Kameraden schon seit März 1944 der englischen RAF angegliedert war, wurde er am 16. Februar 1945 zur 462. Squadron der 100. Bomber-Gruppe des britischen Bomber Command versetzt.

Nach ihrer Ausbildung wurden die Crews aus verschiedenen Ländern bestimmten Squadronen (Staffeln) unterstellt und flogen unter dem Oberkommando der RAF (Royal Air Force Großbritannien). So bestanden die 1. – 299. Squadron aus Crews der regulären RAF; die 400. – 445. Squadron aus Crews der RCAF (Royal Canadian Air Force) und die 450. – 467. Squadron aus Crews der RAAF (Royal Australian Air Force).

 Die 462. Squadron setzte sich zum größten Teil aus Australiern zusammen und verfügte über einen der besten schweren Bomber des Zweiten Weltkrieges: die Handley Page Halifax. Von Mitte August bis 29. Dezember 1944 wurde sie im englischen Driffield formiert und war der 4. Bomber-Gruppe unterstellt. Ab Januar 1945 kam sie dann zur 100. Bomber-Gruppe als "ABC Jamming Squadron", eine Art Vorläufer der heutigen "elektronischen Kriegführung". Diese Squadron hatte eine Besonderheit: Sie war die einzige australische Squadron, die der 100. Bomber-Gruppe angehörte. Hauptaufgabe der 100. Bomber-Gruppe war es, Special Duties (Spezialaufgaben) durchzuführen. Sie vereinte die unterschiedlichsten Flugzeugtypen unter ihrem Kommando, operierte von acht Flugplätzen aus und verfügte im Durchschnitt über 260 einsatzbereite Flugzeuge. Sie sollten die großen Bomberströme beim Angriff auf deutsche Städte begleiten, führen und unterstützen sowie feindliche Jagdflugzeuge und Flakstellungen auskundschaften, ausschalten oder ihre Wirkungsweise stören.

Die Basis der 462. Squadron war der Flugplatz "RAF Foulsham", eine Militärbasis 30 km nordwestlich von Norwich im Bezirk Norfolk, Ostengland. Es war ein für diese Zeit sehr modern eingerichteter Flugplatz. Er verfügte über das als FIDO bezeichnete System, welches die Seiten der Startbahnen beleuchtete und eine große Hilfe bei Starts und Landungen im Nebel, bei schlechter Sicht oder in der Dunkelheit war. Der Flugplatz hatte drei Startbahnen aus Asphalt, drei aus festgestampften Holzspänen und 37 befestigte Rollbahnen.

Anfangs flog die 462. Squadron die sinnigerweise sogenannten "Spoof Raids" (Ulkangriffe), d. h., sie warfen die als Windows bezeichneten (deutsch: Düppel) Stanniolstreifen ab. Diese gehörten zum passiven Täuschen und bestanden aus "Wolken" von Aluminiumstreifen, die das Radar des Feindes verwirren und umlenken sollten, indem sie diesem ein um das Vielfache des Flugzeuges größeres Ziel boten. Nachdem die Squadron genug Erfahrungen gesammelt hatte, wurde sie im März 1945 mit zusätzlicher elektronischer Störausrüstung wie ABC, Carpet, GEE, Piperacks, Fishpond und H2S ausgerüstet.

Hibberd bereitete sich weiter auf seinen Einsatz vor. Vieles war bereits Routine, seit er seinen ersten Einsatz am 16. Februar 1945 geflogen war. Er und seine restliche Crew (insgesamt acht Mann) waren ein eingeschworenes Team und hatten sich nicht nur angefreundet, sondern fühlten sich als eine Art Familie. Nur so konnten sie die psychischen Anspannungen vor jedem Einsatz ertragen. Die bevorstehende Todesgefahr schweißte sie zusammen. Denn rein statistisch gesehen war die Möglichkeit der unbeschadeten Rückkehr geringer als ihr Tod oder die Gefangennahme auf feindlichem Territorium. Allein das Bomber Command der RAF büßte im 2. Weltkrieg 7.120 Bomber, 47.000 Besatzungsmitglieder und 1.600 Mann Bodenpersonal ein. Gegen 18:00 Uhr waren die persönlichen Vorbereitungen von Hibberds Crew abgeschlossen. Gemeinsam begaben sie sich zu ihrer Halifax, um letzte Überprüfungen des Flugzeuges und aller Geräte vorzunehmen.

5Halifax Z5-N der 462 Squ
Abbildung 5: Halifax Mk III der 462. Squadron (Foto AWM)