Delitzscher als Opfer von Krieg und Gewalt 1864 bis 1955 - 4. Der Erste Weltkrieg 1914-1918

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4. Der Erste Weltkrieg 1914-1918

Am 1. August 1914 begann der Erste Weltkrieg, der bis Ende 1918 dauern sollte. In einer Datenbank konnten bisher 721 im Krieg gefallene oder durch Verwundung nach dem Krieg verstorbene Soldaten, in der Kriegsgefangenschaft verstorbene Soldaten sowie in Delitzsch verstorbene Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter erfasst werden. Dabei fehlen mindestens noch 200 Delitzscher, die im Krieg als vermisst galten und deren Identität noch überprüft werden muss. Der Magistrat beauftragte Anfang 1916 den Chronisten Oskar Reime, eine genaue Kriegschronik anzufertigen, soweit Delitzsch von den Ereignissen betroffen war. Auf dieser Grundlage wurde dann später das Heldenbuch 1914-1918 für die Kriegsopfer des Kirchspiels Delitzsch angefertigt. Von den bisher identifizierten Toten sind 39 in Kriegsgefangenschaft verstorben, während 83 von ihnen als vermisst gelten und deren Schicksal bis heute nicht geklärt werden konnte. Etwa ein Drittel der Gefallenen, genau 241, waren verheiratet. Der erste Delitzscher, der in diesem Krieg fiel, war Friedrich Ernst Nehricke. Im Zivilleben war er Handlungsgehilfe und wohnte in der Münze 9. Mit Beginn des Krieges wurde er als Gefreiter ins 2. Magdeburger Infanterie-Regiment Prinz Louis Ferdinand von Preußen Nr. 27 eingezogen. Bereits am 6. August 1914 fiel er bei einem Angriff auf das Dorf Retinne in der Nähe von Lüttich.

Abbildung 6 - Das von deutschen Truppen zerstrte Armentieres Bild Bestand Museum Delitzsch
Abb. 5: Das von deutschen Truppen zerstörte Armentieres

Von einem Unteroffizier des Regiments ist ein Brief überliefert, in dem er über den Angriff in der Nacht vom 5. zum 6. August 1914 berichtete. Hier einige Auszüge:


"Nachts vom 5. zum 6. August um 12 1/2 Uhr wurde zum Abmarsch Befehl gegeben. Wir zogen durch das fast vollständig niedergebrannte Dorf Soumagne und überschritten die Bahn am Wegekreuz Soumagne bis Melen und Retinne – Hervé. Bei einem Wirtshause vor dem Dorfe Sur Fosse wurde uns wiederum durch einen Feuerüberfall der belgischen Vorposten ein energisches Halt geboten. Nach Abgabe einiger Schüsse durch eine unserer Batterien zogen sich jedoch die Vorposten zurück. Die Chaussee vor dem Wirtshause war jedoch durch Aufreißen und Schaffung starker Hindernisse (Möbel waren quer über den Weg gelegt) verbarrikadiert. Rechts und links konnte man infolge der vielen dichten Hecken, wie sie in Belgien üblich sind, auch nicht weiterkommen. Nach Wegräumen der Hindernisse gelangten wir nach dem Dorfe Sur Fosse; wir kamen in ein heftiges Kreuzfeuer, wobei wir nicht unterscheiden konnten, ob es vom Feinde oder von unseren eigenen Truppen herrührte. Wir stürmten trotzdem - unsere Offiziere voran - vorwärts und gelangten vor dem Dorfe Retinne in eine Mulde, wo das Kreuzfeuer noch heftiger wurde. Um festzustellen, ob wir es mit unseren eigenen Leuten zu tun hatten, wurde während des Kampfes der Feldruf: 'Der Kaiser' ausgegeben. Dadurch erkannten die in unserer Nähe befindlichen deutschen Truppen, daß sie die eigenen Truppen beschossen hatten. Natürlich stellten sie nun sofort das Feuer auf uns ein und richteten es auf Retinne. Das Dorf Retinne liegt zum Teil auf einer Anhöhe, zum Teil am Abhang dieser Anhöhe. Inzwischen war es 8 Uhr morgens geworden (6. August). Des schlechten Wetters wegen war es noch ziemlich dämmerig. Unser Vormarsch und die Kämpfe hatten sich in solcher Schnelligkeit und Aufregung abgespielt, daß wir mit unseren Gedanken in Unordnung geraten waren, so daß jetzt viele von uns nicht wußten: ist es Morgen oder Abend? Wir sammelten uns auf einer im Dorfe auf der Höhe liegenden Wiese, wo inzwischen bereits unsere Artillerie eingetroffen war. Diese eröffnete auf die fliehenden Belgier ein wirkungsvolles Feuer, und der Feind hatte hierbei nach Aussage der später auf der Festung Lüttich gefangengenommenen Belgier große Verluste erlitten. Wir folgten dem fliehenden Feind in der Richtung auf Lüttich. Der Einmarsch in Belgien, namentlich die Kämpfe vor und in Retinne, hat unserem Regiment sehr hohe Verluste gebracht."

 

Abbildung 7 - Richard Mieth als Kriegsgefangener in England rechts Foto privat
Abb. 6: Richard Mieth als Kriegsgefangener in England (rechts)

Der aus Seelhausen stammende Musketier Richard Mieth (geb. am 10.02.1891) gehörte der 7. Kompanie des Infanterie-Regiments Nr. 27 an. Er war sowohl bei dem geschilderten Kampf als auch bei der Eroberung von Lüttich am 16. August 1914 dabei und überlebte unverletzt. Nur wenige Tage später, am 10. September, kam er in englische Gefangenschaft (siehe Abbildung Nr. 6). Diese Postkarte schickte er als "Prisoner of War" an seine Familie. Am 22. November 1919 wurde er aus der Gefangenschaft entlassen und kehrte nach Hause zurück. Am 27. Dezember 1920 heiratete er in Delitzsch. Auch Hermann Petzold aus der Dübener Straße überlebte den Krieg. Er schickte zu Ostern 1915 eine Postkarte mit "…Grüßen aus Feindesland" (siehe Abbildung 7).

Abbildung 8 - Der Delitzscher Hermann Petzold 3. von links - Ostergre aus Feindesland Bestand Stadtarchiv
Abb. 7: Der Delitzscher Hermann Petzold (3. von links) - Ostergrüße aus Feindesland

Die meisten der Gefallenen kämpften in folgenden Regimentern: 4. Thüringisches Infanterie-Regiment Nr. 72 (34 Mann); 8. Thüringisches Infanterie-Regi-ment Nr. 153 (19 Mann); Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 72 (18 Mann); 2. Magdeburger Infanterie-Regiment Prinz Louis Ferdinand von Preußen Nr. 27 (16 Mann); Anhaltisches Infanterie-Regiment Nr. 93 (15 Mann) und Magdeburger Füsilier-Regiment General-Feldmarschall Graf Blumenthal Nr. 36 (12 Mann). Allerdings gilt zu beachten, dass die Einheiten von 124 Gefallenen nicht bekannt sind. Eine Besonderheit des 1. Weltkrieges war auch, dass erstmals in einem Krieg auf allen Seiten Flugzeuge eingesetzt wurden. Neben Jagdflugzeugen wurden die Vorläufer künftiger Bombenflugzeuge eingesetzt. Dazu gehörten auch die sogenannten Riesenflugzeuge, die allerdings sehr anfällig waren, ebenso wie die zur Aufklärung eingesetzten Luftschiffe. Viele Männer der Deutschen Fliegertruppe im Ersten Weltkrieg taten vorher in anderen Truppenteilen Dienst. Sie wurden von ihren Regimentern zur Fliegertruppe kommandiert und trugen oftmals weiterhin ihre Uniform. Die bekannten, bei der Fliegertruppe eingesetzten Delitzscher waren: Otto Eduard Lehmer, geb. am 25.03.1889 in Delitzsch, Ober-Maschinenmaat, gehörte zur Besatzung des Marineluftschiffes L10, gefallen am 03.09.1915 östlich Neuwerk, durch Blitz entzündet, stürzte das Luftschiff bei Neuwerk ab, Lehmer wurde in Cuxhaven-Ritzebüttel beerdigt; Arno Friedrich Wend, geb. am 14.04.1896 in Meusdorf/ Delitzsch, Obergefreiter und Ober-Flugzeugmechaniker in einer Riesenflieger-Ersatzabteilung (REA), war auf dem Flugzeug als Bordmonteur eingesetzt, gefallen am 10.03.1917, Absturz mit VGO I / RML 1 in Berlin, Staaken, die weiteren beteiligten Angehörigen der REA starben ebenfalls, alle wurden beerdigt auf dem Waldfriedhof Troisdorf; Otto Hickmann, geb. am 10.05.1893 in Gertitz bei Delitzsch, Leutnant der Reserve, zunächst diente er im Sächsischen Infanterie-Regiment Nr. 104, wurde (wahrscheinlich 1916) zur FA A 242 - Fliegerabteilung 242 w Artillerie delegiert, Beobachter in einem Flugzeug, gefallen am 23.04.1918, Erstbestattung in Pagny-sur-Meuse, dann St. Mihiel (Frankreich); Kurt Wandt, geb. am 06.04.1898 in Delitzsch, Unteroffizier, gestorben am 05.11.1918 in La Bontaille; Franz Werner, geb. am 06.07.1897 in Delitzsch, Flieger, gestorben am 28.02.1919 in Halle im Krankenhaus an seinen schweren Verwundungen; Kurt Held, geb. am 29.07.1876 in Delitzsch, Leutnant der Reserve, gefallen am 22.05.1916 bei Naumoncel Fe; August Gerke, geb. am 01.05.1895 in Magdeburg, Leutnant der Reserve, vorher Sächsisches Infanterie-Regiment Nr. 40, gefallen am 05.09.1917 in Delitzsch; Otto Gras, geb. am 20.03.1888 in Delitzsch, Ober-Bordmonteur, gefallen am 28.11.1916 bei Jarmouth; Georg Kornas, geb. am 22.03.1870 in Charlottenhof, Flieger, gestorben am 13.06.1918 in Delitzsch infolge Krankheit; Hans Schettler, geb. am 04.12.1893 in Delitzsch, Leutnant, gefallen am 12.03.1916 bei Dombasle.


Quellen für die folgende Datenbank: Bogislav von Studnitz: Geschichte des Thüringischen Husaren-Regimentes Nr. 12 und seiner Mobilmachungsformationen im Weltkriege 1914-1918". Weimar 1930. . Das Königlich Preußische Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 46 im Weltkriege. Nach den amtlichen Kriegstagebüchern und Berichten von Mitkämpfern, bearbeitet von Oberstleutnant d. Res. a. D. Oscar Jesco von Puttkamer, Misdroy. Das Marine Infanterie-Regiment 2 im Weltkriege 1914/1918. Nach den Kriegsakten bearbeitet von Herrn von Goetze, Generalmajor a.D., Oldenburg i. O./Berlin 1926. Das Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 232 in Ost und West. Nach den amtl. Kriegstagebüchern, persönlichen Aufzeichnungen und Erinnerungen bearbeitet von Erich v. Bartenwerffer, Oberst a.D. und Dr. phil. Alfred Herrmann, Oberst d.R.a.D. Aus der Schriftenfolge „Erinnerungsblätter deutscher Regimenter“. Deutsche Fliegertruppe/Deutsche Luftstreitkräfte 1914 – 1918, Geschichte der im 1. Weltkrieg geformten Deutschen Luftstreitkräfte und ihrer Verluste, online auf http://www.frontflieger.de/. (Stand 2014). Die jüdischen Gefallenen des deutschen Heeres, der deutschen Marine und der deutschen Schutztruppen 1914-1918. Ein Gedenkbuch, Verlag Steiger, herausgegeben vom Reichsbund jüdischer Frontsoldaten 1932. Evangelisches Kreiskirchenarchiv: Heldenbuch 1914-1918 für die Kriegsopfer des Kirchspiels Delitzsch. Kirchenarchiv Delitzsch, Heldenbuch 1914-1918 der im 1. WK Gefallenen, . Kirchenarchiv Delitzsch, Verzeichnis der im Kriege 1914-1918 gefallenen Personen aus Delitzsch, Handschriftliche Liste der im 1. Weltkrieg gefallenen Delitzscher sowie in Kriegsgefangenschaft Geratene. Museum Barockschloß Delitzsch, Bestand IV/2/2864, Gedenkbuch über das Lehrerseminar Delitzsch, herausgegeben zur Abschlußfeier am 13.03.1926. . Opfer des 1. und 2. Weltkrieges, online auf http://www.weltkriegsopfer.de (Stand 2014). Sanitätsbericht über das deutsche Heer im Weltkriege 1914/18; Ehrenliste der gefallenen Sanitätsoffiziere; Berlin 1935. Schulz, Oberstleutnant a. D. (Hrsg.) Infanterie-Regiement Graf Bülow von Dennewitz (6. Westfälisches) Nr. 55 im Weltkriege, Verlag der Meyerschen Hofbuchhandlung (Max Staerke) Detmold. Stadtarchiv Delitzsch, Ehrenliste der im 1. WK gefallenen Söhne der Gemeinde Delitzsch, zusammengestellt durch Oskar Reime. Stadtarchiv Delitzsch, Personenstandsbücher, Sterberegister Delitzsch, Paupitzsch, Benndorf, Schenkenberg, Spröda 1874-1983. Stadtarchiv Delitzsch, Verzeichnis der auf dem Friedhof Delitzsch beigesetzten Krieger. Verlustlisten 1. Weltkrieg, Verein für Computergenealogie e.V. Die Verlustlisten sind auf Grund der amtlichen Kriegsrollen und Kriegsstammrollen aufgestellt worden, online auf http://wiki-de.genealogy.net/Verlustlisten_Erster_Weltkrieg. Verlustlisten aus dem Armee-Verordnungsblatt, im Deutschen Reichsanzeiger und im Königlich Preußischen Staatsanzeiger veröffentlicht. Verlustlisten online des 1. Weltkrieges auf www.denkmalprojekt.org (Stand 2014). Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. online, auf volksbund.de (Stand 2014). Walter von Eberhardt, Generalleutnant a.D., Unsere Luftstreitkräfte 1914-18, Vaterländischer Verlag C.A. Weller, Berlin 1930.

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