Enzyklopädie der Hexerei - Die westliche Tradition - Hexenprozesse und Hexerei im Kurfürstentum Sachsen
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Hexenprozesse und Hexerei im Kurfürstentum Sachsen
Es gab mehr als 900 angeklagte Hexen im Kurfürstentum Sachsen, davon wurden etwa ein Drittel hingerichtet. Das Kurfürstentum Sachsen war eine Landesherrschaft innerhalb des alten Deutschen Reiches in Mitteleuropa. Es hatte eine gemeinsame Grenze mit dem Königreich Böhmen, mit Schlesien, dem Kurfürstentum Brandenburg, dem Fürstentum Anhalt, dem Erzstift Magdeburg, den Grafschaften Mansfeld und Schwarzburg, Hessen und den thüringischen Herzogtümern. Mit diesen benachbarten Herrschaftsbereichen bestanden starke Wechselbeziehungen in der ethnografischen Disposition, im Handel, im intelektuellen Wissenstransfer zwischen den Universitäten und damit im Zusammenhang stehend auch den Rechtswissenschaften. Mit der Gründung der Universitäten Leipzig (1409) und Wittenberg (1502) entstanden gleichzeitig juristische Fakultäten, die im Zivilrecht, Strafrecht und Kirchenrecht lehrten. Ein reger Erfahrungsaustausch zwischen den mittel- und westeuropäischen Universitäten war gegeben, so dass ebenso ausländische Juristen in kursächsischen Diensten standen wie auch Sachsen vielfach in benachbarten Herrschaftsbereichen. Das rezipierte Römische Recht bildete ebenso wie traditionelle Rechtsgewohnheiten den Lehrinhalt und somit in wechselseitiger Beziehung und Gewichtung auch in der Rechtssprechung. Die Ketzer-, Zauberei- und Hexenprozesse waren im Kurfürstentum Sachsen spätestens seit dem 15. Jahrhundert eingebettet in das System der Strafverfahren, die für diese Sachgruppe ausschliesslich inquisitorisch geführt worden sind. Bis in das 16. Jahrhundert hinein waren traditionelle Gewohnheitsrechte und regionale Rechtsordnungen von zentraler Bedeutung. Daneben war der um 1224/27 von Eike von Repgow in deutscher Sprache niedergeschriebene "Sachsenspiegel" im gesamten mitteldeutschen Raum im Gebrauch, der bereits in seiner ältesten bekannten Ausführung den Feuertod für Zauberei und Ketzerei vorsah. Kurz nach 1500 wurde durch eine Glosse im "Sachsenspiegel" der Straftatbestand um das Wahrsagen und Segensprechen erweitert.
Die Herausbildung des Hexereistraftatbestandes in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stellte einen wichtigen Paradigmenwechsel dar. Die Vorstellung des Schadenszaubers wurde geistesgeschichtlich mit dem Glauben an die Existenz einer ketzerischen Sekte in Verbindung gebracht. Die Bekämpfung der Waldenser in Kursachsen lässt sich besonders um Sangerhausen und Dresden nachweisen und wurde bereits zu diesem Zeitpunkt vor weltlichen Gerichten geführt. Mehrfach kam es dort zu Ketzer- und Zaubereranklagen und Verbrennungen. Im Gegensatz zu anderen deutschen Herrschaftsbereichen erreichte in den wettinischen Landesherrschaften der neu aufgekommene Begriff der Hexerei trotzdem keinen herausragenden Stellenwert. Dominant blieb der Glauben an die Realität des Schadenszaubers. Aufgrund der rechtlich eigenständigen Stellung des Kurfürstentums, hatte die 1532 Gesetzeskraft erlangte "Carolina", die "Halsgerichtsordnung" Kaiser Karls V., keine Gültigkeit. Mit den 1572 in Kraft getretenen kursächsischen "Constitutionen" sollten aber die Differenzen zwischen dem Reichsgesetz der "Carolina" und den sächsischen Rechtsordnungen ausgeräumt werden. Auch waren darin alle Fragen zum Zivil- und Strafrecht sowie zum Prozessverlauf geregelt. Die Festsetzungen zum Zauberei- und Hexereiverbrechen erfuhren darin eine weitreichende Differenzierung in ihrer Strafmaßzuschreibung. In dieser Beziehung war der über mehrere Juristen und Staatsrechtler übernommene "Malleus maleficarum" (Hexenhammer) von besonderer Bedeutung. Neu war vor allem die Aufnahme der mit dem Feuertod zu ahndenden Teufelsbuhlschaft auch dann, wenn niemandem ein Schaden durch Zauberei entstanden war. Der Einleitung eines Inquisitionsverfahrens ging in aller Regel eine Anzeige am lokalen Gerichtstag voraus, ist im Einzelfall aber auch von der landesherrlichen Kanzlei oder einer Rittergutsherrschaft angewiesen worden. Die formal gesehen neutrale Verfahrensführung ließ Sanktionen von Seiten des Angeklagten oder dessen Angehörigen kaum zu, nur im Ausnahmefall und erst seit dem 17. Jahrhundert ist eine Verteidigung belegbar. Berufungsverfahren in eine höhere Instanz waren nach den Grundsätzen der kursächsischen Gerichtsverfassung für Strafverfahren ausgeschlossen. Eine zentrale Rolle für die Führung von Strafverfahren kam den lokalen Gerichten zu. Sie standen unter der Leitung von gelehrten Juristen, die die Prozessabschnitte koordinierten. Die Zwischen- und Endurteile mussten von speziell durch die Landesherren bestätigten Gelehrten ("Schöffenstühlen") oder Juristenfakultäten extern eingeholt werden. Durch landesherrliche Weisung erlangte der Leipziger Schöffenstuhl für die Spruchfassung in Strafverfahren eine herausragende Bedeutung für Kursachsen, wohingegen die Wittenberger Spruchbehörden Einschränkungen unterlagen.
Von den bisher nachweisbaren über 900 Anklagen gegen Einzelpersonen in Kursachsen wurde der größte Teil vor landesherrlichen Ämtern verhandelt, von denen für etwa ein Drittel der Angeklagten Todesurteile gefällt und vollstreckt worden sind. Vor Stadt- und Rittergutsgerichten waren quantitativ zwar weniger Personen wegen des Zauberei- und Hexereidelikts angeklagt, wobei auch dort etwa ein Drittel hingerichtet worden sind. Der Unterschied in der Zahl der geführten Strafverfahren stand etwa im proportionalen Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Damit lassen sich keine signifikanten Unterschiede in der Hexenverfolgung zwischen den verschiedenen Gerichten feststellen. Die Wahrscheinlichkeit, der Hexerei angeklagt zu werden, war statistisch gesehen auf dem Lande um etwa 10% höher als in der Stadt. Für die Durchführung von Strafverfahren kam den Schössern und Stadtrichtern als Amtsträger eine besondere Bedeutung zu. Sie leiteten alle Verfahrensabschnitte, was sie als Berufsgruppe verantwortlich für Ballungen von Hexenprozessen machen konnte. Ebenso können es aber auch die besonderen Rechtsverhältnisse unter der gemeinschaftlichen Verwaltung verschiedener Landesherrschaften gewesen sein, wie beispielsweise in der vormaligen Grafschaft Henneberg.
Den Straftatbeständen der Hexerei und Zauberei verwandt, wurden auch Verfahren gegen Segensprecher, kluge Leute und magische Heiler, Wahrsager und wegen abergläubischer Händel geführt. Daran wird der sehr differenzierte Umgang mit Tatvorwürfen im Rechtsalltag deutlich, was auch für die Strafmaßzuschreibung zutraf. Zum Feuertod Verurteilte wurden manchmal auch zur Vollstreckung der Todesstrafe durch Köpfen mit dem Schwert begnadigt. Für Delikte nichtschädigender Magie wurde in der Regel die Landesverweisung ausgesprochen. Bei einigen wenigen Fällen hat man auch bereits ausgesprochene Todesurteile in Landesverweisung oder nach 1661 in Festungsbauhaft umgewandelt. Gab es darüber hinaus außer dem Vorwurf des Hexenwerkes noch andere Delikte wie zum Beispiel Diebstahl und Brandstiftung, erfolgte die Urteilsvollstreckung durch Tod mit dem Strang, Tod durch Rädern oder zum Tod durch das Schwert. Für leichtere Zaubereivergehen lassen sich bestimmte Ehrenstrafen wie Stehen im Pranger, Züchtigung, Haft- oder Geldstrafe und sogar die Genehmigung zur Ehescheidung belegen. In minderschweren Einzelfällen wurden Entscheidungen auch direkt von der landesherrlichen Kanzlei und den Rittergutsherrschaften getroffen. Dazu gehörten die Niederschlagung von Verfahren, Verhängung einer Geldstrafe, die Landesverweisung ohne Urteil und die Amtsenthebung von Pfarrern. Kindern wurde in der Regel die Züchtigung und dann folgend die Belehrung durch Geistliche zuerkannt. Hexerei- und Zaubereischuldzuweisungen wurden auch in Kursachsen in den meisten Fällen sozial instrumentalisiert. Als auslösende Faktoren kamen Unwetter und deren Folgen zur Wirkung, Kranke als Zielpersonen von Schuldzuweisungen und Sozialverhalten im Nachbarschaftsstreit und innerhalb von Familien. Heilkundige Personen und Drogengebrauch konnten ebenso in Verdacht kommen wie landfahrende Personen. Einige waren auch aufgrund ausgeübter magischer Praktiken in Verdacht gekommen. Der Frauenanteil bei den Anklagen betrug in Kursachsen 73%, von denen wiederum der übergroße Teil noch verheiratet aber nicht mehr im gebährfähigen Alter war. Es wurden aber auch mindestens 22 Kinder vor Gericht der Zauberei beschuldigt. Der Verheiratete mit gutem Sozialstatus entging in einem Hexenprozess eher einer Bestrafung und konnte mit einem Freispruch oder einer Verfahrenseinstellung rechnen. Dagegen war eine Witwe auf niederem sozialen Niveau häufiger von einem Todesurteil betroffen. Dort wo sich die soziale Disposition ablesen liess, konnte ansonsten keine signifikant höhere Zahl aus dem besitzlosen Anteil der Bevölkerung festgestellt werden.
Betroffen waren Personen aus allen Schichten der Bevölkerung, von der Bettlerin über den Bauer, den Bürger und sogar Personen des Adels. Das gilt auch im Verhältnis zur statistischen Größe der jeweiligen sozialen Gruppe zur Gesamtbevölkerung. Zauberei- und Hexereivorwürfe wurden in Kursachsen von Seiten der Landesherrschaft und der Kirche auch in nachreformatorischer Zeit nicht für die Durchsetzung der neuen Glaubenslehre oder gegen ethnische Minderheiten instrumentalisiert. Den wenigen von einer Verdächtigung betroffenen Katholiken, slawischen Sorben und Juden machte man nicht ihren Glauben zum Vorwurf. Der Gesamtzeitraum archivalisch belegbarer Zauberei-, Ketzerei- und Hexenprozesse erstreckte sich, beginnend 1409, über 350 Jahre. Bei der Gesamtzahl der belegbaren Verfahren lassen sich zwei zeitliche Schwerpunkte ablesen. Es sind die Zeiträume von etwa 1610 bis 1630 und 1655 bis 1665, in denen im gleichen Maßstab auch die Zahl der Vollstreckungen von Todesstrafen in die Höhe schnellte.
Eine wichtige Zäsur bei der Gesetzgebung stellte die 1661 in Kraft getretene kursächsische Polizeiordnung dar, die maßgeblich von Benedict Carpzov beeinflusst worden ist. Sie steht am Beginn eines -wenn auch langsamen- Liberalisierungsprozesses bei der Kodifizierung dieses Straftatbestandes. Trotzdem wurde noch 1689 ein letztes Todesurteil für Hexerei in Kursachsen vollstreckt. Das Rittergutsgericht in Ostrau/ Amt Delitzsch ließ, nach einem Urteilsspruch des Schöffenstuhles in Halle/ Saale, Anna Maria Braune lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Noch bis zum Jahr 1766 lassen sich inquisitorisch geführte Verfahren zum Straftatbestand der Zauberei belegen, die aber bereits seit etwa 1700 zumeist mit Verfahrenseinstellung beendet worden sind. Am Anfang der Liberalisierung bei der Beurteilung des Hexendelikts in Sachsen standen neben Juristen auch Mediziner und Theologen. Damit wurde bereits mit Beginn der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts interdisziplinär das Strafrechtsproblem der Hexerei rational hinterfragt und die Aufklärung eingeleitet. Das Ende der Vollstreckung von Todesurteilen in Hexenprozessen stand in engem Zusammenhang mit der Ablösung der scholastischen Tradition durch die Naturrechtslehre.
DR. MANFRED WILDE
Verwendete wissenschaftliche Bücher:
Blaschke, Karlheinz. 1965. Zur Behördenkunde der kursächsischen Lokalverwaltung. In: Archivar und Historiker (Zum 65. Geburtstag von Heinrich Otto Meisner), S.343-363. Berlin.
Boehm, Ernst. 1939/1940. Der Schöppenstuhl zu Leipzig und der sächsische Inquisitionsprozeß im Barockzeitalter. In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, 59.Band, 3.-6. Heft. Berlin.
Lück, Heiner. 1997. Die kursächsische Gerichtsverfassung 1423-1550 (=Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, 17.Band). Koeln/ Weimar/ Wien: Boehlau Verlag.
Lück, Heiner. 1998. Die Spruchtätigkeit der Wittenberger Juristenfakultät. Organisation-Verfahren-Ausstrahlung. Koeln/ Weimar/ Wien: Boehlau Verlag.
Wilde, Manfred. 2002. Hexenprozesse und Landesherrschaft. Der Schöffenstuhl, die Juristenfakultät und das Oberhofgericht in Leipzig und ihre Bedeutung für Hexenprozesse in Kursachsen. In: Renate Wißuwa/ Gabriele Viertel/ Nina Krüger (Hg.). Landesgeschichte und Archivwesen (Festschrift für Reiner Groß zum 65. Geburtstag), S.149-166. Sächsisches Druck- und Verlagshaus Dresden.
Wilde, Manfred. 2003. Die Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen. Koeln/ Weimar/ Wien: Boehlau Verlag.