Delitzscher als Opfer von Krieg und Gewalt 1864 bis 1955 - 6. Gewalt in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945

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6. Gewalt in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945

In der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 wurden auch Delitzscher in Konzentrationslagern und Vernichtungslagern ermordet und durch Sondergerichte zum Tode verurteilt. Bereits in der Neujahrsnacht zum 1. Januar 1933 kam es zwischen den Angehörigen der NSDAP und der KPD zu einer schweren Schlägerei in der Halleschen Straße und in Poßdorf zu einer Straßenschlacht mit 20 Verletzten, darunter vier Schwerverletzten. Am 31. Januar erfolgte eine Kundgebung der KPD auf dem Marktplatz mit 350 Teilnehmern, als Protest gegen die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Am 2. Februar fand eine Kundgebung der NSDAP unter starker Beteiligung des "Stahlhelm" im Schützenhaus statt. Nach einem Fackelumzug und Marsch durch die Stadt wurde in der Versammlung die Zustimmung zur "Nationalen Regierung unter Leitung Adolf Hitlers" zum Ausdruck gebracht. Aus Unterlagen über den antifaschistischen Widerstandskampf im Kreise Delitzsch von 1933 - 1942 der SED-Kreisleitung Delitzsch geht hervor, dass nach dem Reichstagsbrand und auch in den folgenden Jahren Inhaftierungen im Rathauskeller Delitzsch, Zuführungen zum Polizeipräsidium Halle, Inhaftierungen in Konzentrationslagern, vor allem im KZ Lichtenburg nördlich von Torgau, Einzelpersönlichkeiten auch in den Lagern Buchenwald, Sachsenburg und Sachsenhausen, vorgenommen worden sind. Meist wurden die Inhaftierten nach einer bestimmten Zeit wieder freigelassen in der Annahme, dass die Abschreckungsmaßnahmen ihren Zweck erfüllt hätten. Es wird angenommen, dass sich die Zahl der Personen, die in Kreis und Stadt Delitzsch unter den Repressalien der NS-Führung zu leiden hatten, auf über 100 erstreckte. In KZ’s wurden folgende Personen aus Delitzsch umgebracht: Albert Walter Grunicke, geb. am 02.06.1896 in Delitzsch, verstorben am 12.05.1940, 1940 in Leipzig verhaftet und im KZ Sachsenhausen ermordet, bekannte Wohnorte: Delitzsch, Leipzig; Hermann Walter Schuhknecht, geb. am 14.04.1899 in Delitzsch, verstorben am 12.03.1945, 1934 in Bernburg verhaftet und im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet, bekannte Wohnorte: Delitzsch, Bernburg, Funktionär der KPD; Anna Schumann, geborene Plath, geb. am 1875 in Delitzsch, verstorben am 23.08.1935, 1934 in Leipzig verhaftet, zu 28 Monaten Zuchthaus verurteilt, kam im Zuchthaus Waldheim ums Leben, bekannte Wohnorte: Delitzsch, Leipzig, Stadtverordnete der KPD in Leipzig; Weiterhin sind nachweislich drei aus Delitzsch stammende Angehörige der KPD im KZ Buchenwald ums Leben gekommen: Hermann Alfred Albrecht, geb. am 23.07.1901 in Doberschütz, Kreis Delitzsch, verstorben am 05.04.1944, im KZ Buchenwald, Lager Dora, ums Leben gekommen, Wohnort: Delitzsch; August Hermann Friedrich, geb. am 02.10.1900 in Delitzsch, verstorben am 16.04.1943, im KZ Buchenwald umgekommen, Wohnort: Delitzsch; Friedrich Hänisch, geb. am 30.05.1902 in Delitzsch, verstorben am 04.09.1942, im KZ Buchenwald ums Leben gekommen, Wohnort: Delitzsch. Der "von oben" angeordnete Boykott der jüdischen Geschäfte am 1. April 1933 hatte auch in Delitzsch mit voller Wucht eingesetzt. Vor den Geschäften standen zwei bis drei SA- oder SS-Leute, einer trug ein Plakat mit der Aufschrift: "Abwehrkampf! Kauft nicht bei Juden, Deutschlands Feinden!" Auf den Straßen, besonders gegenüber den jüdischen Geschäften, hatten sich zahlreiche Schaulustige angesammelt. Im November 1934 lebten noch 24 damals so bezeichnete "Israeliten" in Delitzsch. Die Delitzscher Zeitung berichtete am 28. Juli 1935 darüber, dass auch in Delitzsch der "Kampf gegen das Judentum" geführt wird. Das Reichsbürgergesetz und das "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" machten die Juden zu Bürgern zweiter Klasse. In Delitzsch waren nur wenige jüdische Familien sesshaft, so u. a. die Kaufleute Salomon am Markt 8, Pinkus in der Dübener Straße und Jacobsohn in der Breiten Straße 1 sowie die Lebensmittelhändler Schade und Füllgrube in der Eilenburger Straße 9. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 erfolgte das als "Reichskristallnacht" bekannte Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung. Der Chronist der Stadtverwaltung schreibt dazu: "Wie in anderen Städten, so ist man auch in Delitzsch zerstörend gegen die jüdischen Geschäftsinhaber vorgegangen. Laden und Wohnung eines jüdischen Geschäftsinhabers wurden zerstört, die jüdische Kapelle, der 'Judentempel', dem Erdboden gleichgemacht. Damit dürften wohl endlich und für immer die letzten Zeichen jüdischer Niederlassung in Delitzsch verschwunden sein." In der Delitzscher Zeitung erscheint die Schlagzeile: "Delitzsch nun in seinem äußeren Stadtbild völlig judenrein!" Was in Delitzsch an diesem 10. November geschah, ist dem Schriftverkehr des Delitzscher Magistrats mit der Provinzialregierung zu entnehmen. Am Nachmittag jenes Tages wurden die drei großen Schaufenster des Jacobsohnschen Geschäftes in der Breiten Straße 1 zertrümmert. Die Schaufensterpuppen, die Auslagen aus dem Bekleidungsgeschäft, Hausrat und unzählige Glassplitter lagen auf der Straße. Aus dem Reichsbahnausbesserungswerk hatte eine Rotte Männer unter Führung eines SS-Mannes, der in der Bismarckstraße ein Textilgeschäft hatte, das Geschäft und die Wohnung der Familie Jacobsohn geschändet. Danach ging es grölend zum Judenfriedhof. Unter den mitziehenden Kindern und Jugendlichen befanden sich auch Konfirmanden der Knabenvolksschule. Auf dem jüdischen Friedhof wurde die Kapelle angezündet und zerstört und die angeheuerten Jugendlichen warfen die Grabsteine um. Der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde berichtete am 10. November an den Landrat und an die Staatspolizei-Dienststelle (Stapo) Halle: "Politische Tagesmeldung: Am 10. November war gegen 17 Uhr eine Demonstration mit etwa 300 Delitzscher Einwohnern. Die Erregung der Menge steigerte sich über die ruchlose Tat des Juden Grynspan an den Legationsrat von Rath von Minute zu Minute, bis schließlich die Menge dazu überging, das in der Breiten Straße dem Juden Walter Jacobsohn gehörende Kaufhaus zu zerstören. Das Ereignis war so groß, daß die gesamte Laden- und Wohnungseinrichtung zerstört wurde. Auch der auf dem Judenfriedhof befindliche Judentempel (es handelt sich nur um eine Andachtshalle) wurde von der erregten Menge in Brand gesteckt. Die Polizei versuchte, die Plünderung bei Jacobsohn zu verhindern. Die im Grundstück befindlichen Juden, Frau Jacobsohn sen. und jun., sowie der aus Bitterfeld stammende Jude Georg Wolff, der zu Besuch weilte, werden in Schutzhaft genommen. Der Inhaber des Ladens Walter Jacobsohn war geflüchtet und wurde von der Delitzscher Polizei kurz vor Benndorf gefangen und kam in Schutzhaft. Die beiden Frauen wurden freigelassen. Jacobsohn und Wolff wurden am 10. November 1938, um 19.30 Uhr, der Stapo Halle vorgeführt." Bis 1945 kamen folgende Delitzscher Juden ums Leben: Emma Lewin, geborene Wolff, geb. am 15.11.1888 in Delitzsch, verstorben am 26.12.1944, wurde ins KZ Stutthof bei Danzig deportiert und verstarb dort, bekannte Wohnorte: Delitzsch, Berlin; Erich Pinkus, geb. am 07.07.1912 in Eilenburg, verstorben 1942, vom 14.11.1938 bis 17.12.1938 im KZ Buchenwald inhaftiert, am 21.01.1942 erfolgte die Deportation in das Ghetto Riga, wo er verstarb, Wohnort: Delitzsch; Hedwig Zeising, geborene Wagner, geboren am 02.05.1885 in Anklam, verstorben am 03.06.1942, wurde Anfang 1942 in Delitzsch verhaftet und ins Polizeipräsidium Halle überführt, am 01.06.1942 wurde sie mit einem aus Kassel kommenden Deportationszug nach Lublin transportiert, am 03.06.1942 endete der Transport im Vernichtungslager Sobibor, sie war verheiratet mit dem verstorbenen Oberpostsekretär Karl Zeising, Wohnort: Delitzsch, Körnerstraße 9. Im April 1945 führten mehrere Todesmärsche von KZ-Häftlingen durch Delitzsch: 50 KZ-Häftlinge, deren Lager wegen der Frontlage aufgelöst worden ist, wurden durch die Stadt in Richtung Spröda geführt. Ein weiterer Transport wurde über den Markt und die Leipziger Straße nach Döbernitz getrieben. Von ihnen wurden 14 Häftlinge an der Sandgrube östlich von Döbernitz von dem SS-Begleitkommando erschossen, weil sie vor Erschöpfung zusammengebrochen waren. Am 31. Mai erfolgte die kirchliche Bestattung der ermordeten KZ-Häftlinge auf dem Friedhof in Delitzsch. Dabei wurden 14 Särge mit den in Döbernitz exhumierten Toten beigesetzt. Bei den Toten handelte es sich um namentlich unbekannte Häftlinge. Im Friedhofsbuch steht dazu folgender Eintrag: "14 Personen aus dem KZ-Lager wurden auf dem Todesmarsch durch Delitzsch im April 1945 erschossen, im Auftrag der KP (gemeint ist damit die Kriminalpolizei) beigesetzt, Friedhof Neuer Teil, Abt. 7, Reihe 3, Gräber 1 bis 14 (ehemalige Kriegsgräber)". Ein weiteres unrühmliches Kapitel in der Zeit zwischen 1933 und 1945 ist die am 21. März 1933 von der Reichsregierung erlassene Verordnung über die Bildung der Sondergerichte. Diese Gerichte hatten den Status eines Standgerichtes. Voruntersuchung und Eröffnungsbeschluss entfielen, die Stellung des Staatsanwaltes wurde gestärkt, die der Verteidigung eingeschränkt; das Urteil wurde sofort rechtskräftig und Rechtsmittel dagegen konnten nicht eingelegt werden.

Abbildung 11 - Fallbeil der Hinrichtungssttte des Sondergerichtes Leipzig Bestand Stadtarchiv
Abb. 9: Fallbeil der Hinrichtungsstätte des Sondergerichtes Leipzig

Bei Todesurteilen erfolgte die Hinrichtung meist unmittelbar nach der Urteilsverkündung. Dadurch konnte die politische Opposition ohne "Aufsehen" und schnell ausgeschaltet werden. Die Opfer dieser Politik entstammten allen Bevölkerungsschichten, unter ihnen befanden sich Gegner des Naziregimes ebenso wie Kleinkriminelle oder solche Menschen, die erst auf Grund der extremen Gesetzeslage kriminalisiert wurden. Aus Delitzsch wurden drei Personen durch das Sondergericht Halle/Saale und eine Person durch das Sondergericht Leipzig zum Tode verurteilt und hingerichtet. Am 8. Dezember 1939 wurde der in Delitzsch wohnhafte Erich Eckhardt vom Sondergericht Halle wegen Notzuchtversuchs in zwei Fällen und Verbrechens nach §2 der Verordnung gegen Volksschädlinge zweimal zum Tode und zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Sommer 1939 hatte er drei Mädchen überfallen und zu vergewaltigen versucht. Seine Hinrichtung erfolgte am 5. Januar 1940 in Weimar. Richard Kuhn, der zum Zeitpunkt seiner Verhaftung in der Breiten Straße 30 in Delitzsch wohnte, wurde durch das Sondergericht Halle am 24. November 1942 zum Tode verurteilt. Die Straftat wurde mit Schwarzschlachten angegeben, nach §1 Kriegswirtschaftsverordnung. Die Gesamtmenge des gewonnenen Fleisches betrug 30 Tonnen. Am 8. Januar 1943 wurde er im Zuchthaus "Roter Ochse" in Halle hingerichtet. Ernst Kaul, bei seiner Verhaftung in Delitzsch, Angerstr. 18 wohnhaft, wurde am 29. Januar 1943 durch das Sondergericht Halle zum Tode verurteilt. Die Verurteilung erfolgte wegen "Großbetrügerei" auf der Basis des §4 der Volksschädlingsverordnung. Er war bereits zwölf Mal vorbestraft und galt als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher. Am 1. März 1943 wurde er in Halle hingerichtet. Ernst Paul Johnke arbeitete bei der Stadtverwaltung Delitzsch als Kriegsaushilfsangestellter im Ernährungsamt. Dort hatte er in großem Umfang Lebensmittelmarken gestohlen und einen schwunghaften Handel damit betrieben. Am 5. Dezember 1944 verurteilte ihn das Sondergericht 3 in Leipzig zum Tode nach der Kriegswirtschaftsverordnung. Zusammen mit fünf Mitangeklagten wurde er am 12. Januar 1945 im Landgerichtsgefängnis Dresden, Münchner Platz, hingerichtet.


Quellen für die folgende Datenbank: Dokumentationen zu Todesmärschen von KZ-Häftlingen durch den Kreis Delitzsch, Albert-Schweitzer-Gymnasium Bad Düben 1996. Endlich/Goldenbogen/Herlemann/Kahl/Scheer: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. Band I und II, Bonn 1999. Fricke, Kurt: Die Justizvollzugsanstalt "Roter Ochse" Halle/Saale 1933-1945, Halle 1997. Gedenkbuch: Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945. http://totenbuch.buchenwald.de/. Online-Totenbuch des Konzentrationslagers Buchenwald 1937-1945. Stadt Delitzsch (Hrsg.): Chronik der Stadt Delitzsch, Teil VIII, Delitzsch 1996. Stätten des Gedenkens und der Erinnerungen der revolutionären Arbeiterbewegung der Stadt Delitzsch, Hg. Kreisleitung Delitzsch der SED o. J. Viebig, Michael: Das Zuchthaus Halle/Saale als Richtstätte der Nationalsozialistischen Justiz (1942-1945); Halle 1989.

Datenbank der Todesopfer