Delitzscher Internierte in sowjetischen Speziallagern - Historischer Hintergrund
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- Geschrieben von Lars-Uwe Freiberg
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1. Historischer Hintergrund
Die Verbrechen und Gräueltaten der Nazis und ihrer Verbündeten sollen keinesfalls bagatellisiert werden. Es war natürlich richtig und notwendig, Kriegsverbrecher abzuurteilen und zu bestrafen. Das war nach dem größten und grausamsten aller bisherigen Kriege ein unumgängliches Erfordernis. Allerdings stellt sich die Frage nach den Zielen dieser Speziallager; wurden hier die wirklich Schuldigen bestraft? Diese Problematik muss die wissenschaftliche Forschung klären.
Die in den lückenhaften Dokumenten aus den sowjetischen Archiven enthaltenen Übersetzungsfehler sowie unvollständige Geburts- und Wohnortangaben erschwerten aber eine Identifizierung zahlreicher Personen. Es war nicht ungewöhnlich, dass Haftgründe erfunden oder „angepasst“ wurden. Die Schuldfrage zu überprüfen war der Mühe nicht wert. Deshalb sind auch die Angaben über die Funktionen der Inhaftierten nur mit Vorsicht zu betrachten. In verschiedenen Fällen konnte nachgewiesen werden, dass diese Angaben nicht zutreffend waren.
Einrichtung von Speziallagern (Spezlagern) in der SBZ: Die Bezeichnung klingt verharmlosend, suggeriert sie doch automatisch, dass es sich um etwas „Besonderes“ handele. Und das Wort „besonders“ ruft naturgemäß positive Empfindungen hervor. Aber ob bewusst oder nicht – diese Art Lager war tatsächlich etwas bis dahin einmaliges. Dieser Begriff umschreibt eine Form, die es nie zuvor in der Geschichte gab. Eine bereits 1944 festgelegte Maßnahme alliierter Besatzungspolitik war die Internierung von Nationalsozialisten – eine Art Sicherheitsverwahrung in Lagern. Offiziell galt die Einrichtung von Internierungslagern als Maßnahme der Siegermächte, um Funktionäre des nationalsozialistischen Machtapparats zur Verantwortung zu ziehen und sich vor ihrer möglichen Betätigung im Untergrund zu schützen. Sowohl die US-amerikanischen als auch die sowjetischen Verhaftungsrichtlinien zielten auf die Sicherheit der Besatzungstruppen ab. Der Befehl Nr. 00315 des Volkskommissars für innere Angelegenheiten der UdSSR, Berija, spiegelte jedoch die seit den 20er Jahren übliche Praxis von Massenrepressalien in der UdSSR wider. Verhaftungen und der Betrieb der Lager erfolgte auf eine Art und Weise, die Zweifel an der offiziellen Funktionsbestimmung aufkommen ließen: Die Kommandanturen des NKWD internierten in der Regel auf der Grundlage von Mitgliederlisten der NS-Organisationen sowie von erpressten Denunziationen, ohne die tatsächliche Schuld der Betroffenen auf der Grundlage rechtsstaatlicher Untersuchungsverfahren festzustellen. In den Lagern mussten die Gefangenen eine ungewisse Zeit absitzen, ohne dass sich jemand mit ihnen über das Unrechtssystem der Nazis auseinandersetzte und ohne sie, insbesondere die Jugendlichen, zu überzeugen, dass sie unmenschlichen Zielen gedient hatten. Schließlich lag die Annahme nahe, dass die sowjetische Besatzungsadministration auch alle diejenigen in die Lager verbrachte, die dem Aufbau der neuen gesellschaftlichen Ordnung im Wege standen. Während in den westlichen Besatzungszonen die „Entnazifizierung“ durchgeführt wurde, indem man zwischen Hauptschuldigen, Belasteten, Minderbelasteten, Mitläufern und Entlasteten unterschied, wurden in der SBZ ehemalige Mitglieder der NSDAP ohne Untersuchung interniert. Das führte unter anderem dazu, dass NSDAP-Mitglieder in verantwortungsreichen Positionen sich rechtzeitig in die westlichen Besatzungszonen absetzen konnten und dort in der Regel mit „harmlosen Bestrafungen“ davon kamen. In der SBZ dagegen wurden hauptsächlich NSDAP-Mitglieder mit niedrigen Funktionen interniert, ohne deren Schuld zu überprüfen. Etwa 35% aller in der SBZ Internierten bezahlten dieses Vorgehen mit dem Leben.Zunächst richteten die sowjetischen Besatzungstruppen zehn Internierungslager ein. Die Ironie bestand darin, dass hierfür ehemalige faschistische Konzentrationslager und Kriegsgefangenenlager nutzbar gemacht wurden. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass es sich in allen Fällen um keine Vernichtungs- oder Arbeitslager wie im faschistischen Deutschland handelte.
Die Vorbereitung zur Errichtung von Speziallagern auf dem Gebiet der SBZ erfolgte bereits vor Kriegsende. Lawrenti Beria, der von 1938 bis 1953 Geheimdienstchef der UdSSR war, sagte bereits bei der Vorbereitung des Befehls Nr. 00315: "Jeder, den wir verhaften, ist grundsätzlich schuldig!"
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