Delitzscher Internierte in sowjetischen Speziallagern - Kurzfassung der Geschichte der Speziallager

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4. Kurzfassung der Geschichte der Speziallager und Gefängnisse in der SBZ – ergänzende Bilder und Dokumente

An dieser Stelle werden ergänzende Fakten, Zahlen, Dokumente sowie Fotos zu den Lagern und Gefängnissen angefügt, in denen Bürger aus dem Landkreis Delitzsch eingesperrt waren. Aber auch die Geschichte der anderen Lager in der SBZ soll in Form einer Übersicht kurz erläutert werden. Durch den NKWD-Befehl Nr. 00461 vom 10. Mai 1945 entstanden auf zunächst noch ostdeutschem Gebiet 15 Lager (darunter Posen, Schneidemühl, Schwiebus, Landsberg an der Warthe, Fürstenwalde, Werneuchen), weiter drei sogenannte Lager-Gefängnisse (darunter Tost und Oppeln in Oberschlesien) und zehn Gefängnisse (darunter Graudenz in Westpreußen und Königsberg). Seit Anfang Juli 1945 organisierte der Kommissar 2. Grades Serov gemäß dem ihm durch den Befehl Nr. 00780 des NKWD erteilten Auftrag den Ausbau der Operativen Einrichtungen sowie der Speziallager und Gefängnisse des NKWD in der SBZ. Diese Speziallager waren weder Internierungslager nach international gültigen Maßstäben noch Konzentrationalager im Sinne der faschistischen KZ. Das NKWD richtete die Speziallager mit einem besonders harten und strengen Lagerregime ein. Im Mittelpunkt standen dabei vor allem die Verhinderung der Flucht (wegen der Sicherung des Besatzungsgebietes) und die völlige Isolierung der Insassen von der Außenwelt (wegen der Unterbindung jeglicher Kontakte zu Außenstehenden). Für die Speziallager holte Serov in Form von Lagerverlegungen erfahrene Kader der östlich von Neiße und Oder aufzulösenden bisherigen Speziallager und Gefängnisse in die SBZ.  Nach einer größeren Entlassungsaktion im Jahre 1948 wurden die kleineren Lager aufgelöst und die Häftlinge zu den verbliebenen drei Lagern zugeordnet: Nach Buchenwald (nun Speziallager Nr. 2) kamen in den letzten Jahren weiterhin die Nichtverurteilten; nach Bautzen (nun Speziallager Nr. 3) hauptsächlich die zu hohen Haftstrafen und nach Sachsenhausen (nun Speziallager Nr. 1) die zu niedrigen Haftstrafen Verurteilten.

4.1. Speziallager Nr. 1 in Mühlberg (August 1945 – Oktober 1948)

Im Juni 1945 wurde das Speziallager Nr. 1 der 1. Weißrussischen Front von Rembertow bei Warschau nach Schwiebus/Neumark und Ende August/Anfang September 1945 in das ehemalige Kriegsgefangenenlager Stalag IV/B in Mühlberg an der Elbe verlegt. Ab 15. September 1945 brachten Operativgruppen des NKWD aus Sachsen und Sachsen-Anhalt die ersten Häftlinge nach Mühlberg. Die Verwahrung der Inhaftierten erfolgte stets unbefristet. Die Mehrheit der über 21 800 Inhaftier­ten, die das Speziallager Nr. 1 des NKWD, Mühlberg/Elbe, in den drei Jahren seines Beste­hens durchliefen, waren keine im Sinne der Besatzungsmächte belastete Menschen. Viel­mehr handelte es sich um Minderbelastete, "Mitläufer" oder Garnichtbelastete, darunter ehemalige Offiziere, Angehörige des Volkssturms, "Werwolf"-Verdächtige (meist Jugendliche), Fabrikanten, Gutsbesitzer, Menschen aus dem bürgerlich-liberalen Milieu, — alle ohne Haftbefehl festgenommen, ohne Gerichtsverfahren, ohne Möglichkeit der Verteidigung, ohne Feststellung von Schuld oder Nicht-Schuld, ohne Verurteilung. Die Verhaftungspraxis in der SBZ war von einer fast grenzenlosen Willkür gekennzeichnet und unterschied sich fundamental von derjenigen in den westlichen Besatzungszonen. Weniger als 150 der mehr als 21 800 Inhaftierten des Lagers Mühlberg wurden zu einer vermuteten Verurteilung durch Sowjetische Militärtribunale (SMT) abtransportiert, wobei diese Verurteilungen keineswegs unter rechtsstaatlichen Bedingungen stattfanden. Im NKWD-Lager Mühlberg gab es zu keiner Zeit Verurteilte. Auch eine etwaige "Wiedergutmachung" durch Mitarbeit am Wiederaufbau der durch den Krieg verwüsteten Länder und Gebiete war nicht der "Sinn" der Inhaftierung und Isolierung der Betroffenen. Dieser Gedanke war nur bei den späteren Transporten noch arbeitsfähiger Häftlinge in die UdSSR relevant. Die Mehrheit der im Lager Inhaftierten war jedoch zum völligen Nichtstun gezwungen. Das Nichts regierte: es gab keine Kontakte nach draußen, keine Informationen welcher Art auch immer, auch nicht über Grund undeventuelle Dauer der Inhaftierung, keine Arbeit außer der zur Erhaltung des Lagers notwendigen. Die Isolierung war perfekt. Es gab keine einzige Flucht aus dem Lager. 1946 wurden zirka 3 000 Inhaftierte in die Sowjetunion verbracht und dort als Kriegsgefangene behandelt. Weitere zirka 1 000 noch arbeitsfähige meist jugendliche Inhaftierte wurden am 8.2.1947 in einem Transportzug vom Bahnhof Neuburxdorf über Frankfurt/Oder in die Sowjetunion nach Anschero-Sudschensk im sibirischen Kusbass deportiert, wo sie vorwiegend im sibirischen Kohlebergbau, später zum Teil auch an anderen Arbeitsstellen eingesetzt wurden. Die Überlebenden dieses Transportes bekamen später ebenfalls den Status von Kriegsgefangenen. Die letzten von ihnen wurden 1952 entlassen.

Reste Kanalisation Mhlberg
Abb. 22: Reste der Kanalisation des Speziallagers Mühlberg um 2006

1948 waren mehr als 6 700 Inhaftierte im Lager verstorben. Anfang Oktober 1948 wurde das Speziallager Nr. 1 Mühlberg aufgelöst. Das verbliebene Kontingent von 3 611 Häftlingen wurde für weitere zwei Jahre in das Speziallager Nr. 2 des NKWD, Buchenwald, transportiert; die übrigen 7 000 wurden entlassen. Keiner der mehr als 6700 Toten des Speziallagers Nr. 1 des NKWD, Mühlberg/Elbe, wurde in einem Einzelgrab beerdigt. Alle wurden nachts außerhalb des damaligen Lagers in Massengräber geworfen, aufeinandergeschichtet. Es gab keinerlei Zeremonien, die Angehörigen wurden nie benachrichtigt. Nach Auflösung des Lagers 1948 gab es Überlebende, die ihr Schweigegebot aus Mitleid brachen und Angehörige informierten, die wiederum Schweigen geloben mussten. Auch in verschiedenen Organisationen der Bundesrepublik Deutschland hinterlegten einzelne Überlebende Nachrichten über Todesfälle, so z. B. beim Deutschen Roten Kreuz. Offizielle Todesnachrichten erhielt aber auch das DRK erst nach 1989/90 bzw. 1993, nachdem Moskauer Archive teilweise geöffnet wurden. Vereinzelt legten Angehörige der Toten, zu denen in den Jahren nach der Auflösung des Lagers im Jahre 1948 eine Nachricht durchgesickert war, in dem betreffenden Gelände Blumen oder kleine Kränze nieder. Alles Derartige wurde unverzüglich auf Weisung der Behörden der DDR entfernt. Das Gebiet sollte landwirtschaftlich genutzt werden, jedoch stießen Bauern auf Knochen, weigerten sich, weiter zu arbeiten. Dann wurde aufgeforstet, das Gelände überwucherte. Nach 1989/90 begannen Angehörige der Toten, Kreuze aufzustellen, Gedenksteine hinzulegen. Mit Hilfe von Fördermitteln des Landes Brandenburg, der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin, und Spenden ist in den Jahren seit 1992 eine Gedenkstätte für alle Toten des Speziallagers entstanden, die nun seit einigen Jahren mit Unterstützung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. noch einmal umgestaltet wird. Bei den Erdarbeiten dazu stieß man auf eins der Massengräber. Die Gebeine dieser Toten wurden am 11. August 2004 in würdiger Form und nach christlichem Brauch bestattet. Das neue Hochkreuz wurde beim XIV. Mahn- und Gedenktreffen am 4. September 2004 geweiht.

4.2. Speziallager Nr. 2 in Buchenwald (August 1945 – Februar 1950)

Trauerplatz des Spezlagers 2 Buchenwald mit Hochkreuz
Abbildung 23: Trauerplatz des Speziallagers Buchenwald mit Hochkreuz

Das sogenannte Speziallager Nr. 2 Buchenwald, wurde ab Anfang August 1945 eingerichtet. Am 21. August trafen hier die ersten Inhaftierten ein. Die volle "Funktionsfähigkeit" wurde in einem internen Bericht des NKWD auf den 05. September 1945 datiert. Vor allem Buchenwald übernahm die Häftlinge des aus dem nun auf polnischem Gebiet liegenden und deshalb verlegten Lagers Landsberg (1946 ca. 5 850 Personen). Dazu kamen die Häftlinge aus den aufgelösten Lagern Nr. 8 Torgau (1947 ca. 9 960 Personen), Jamlitz (ca. 4 000 Personen), Fünfeichen (ca. 2 600 Personen) und Mühlberg (ca. 7 120 Personen). Der sowjetische Sicherheitsdienst führte die vorhandenen Baulichkeiten des ehemaligen faschistischen Konzentrationslagers weiter und lieferte zunächst Menschen aus der Region ein. Bis zum Jahresende 1945 wuchs die Anzahl der internierten Personen auf fast 6 000 an. Nach bisherigen Recherchen befanden sich unter den Internierten: eine kleine Gruppe von Hauptschuldigen an den NS-Verbrechen, eine größere Anzahl kleiner und mittlerer ehemaliger Funktionäre der NSDAP, des nationalsozialistischen Staates und der Wirtschaft, eine Gruppe von Mitgliedern der Hitlerjugend oder Hitlerjugendführer, Angehörige der Waffen-SS, Polizeiangehörige und Offiziere der Wehrmacht sowie eine Vielzahl von Personen, die infolge von Denunziationen, Verwechslungen und willkürlichen Festnahmen in das Lager gekommen waren. Unter den zwischen August 1945 und Februar 1950 im Speziallager Nr. 2 gefangen gehaltenen 28 455 Menschen (offizielle sowjetische Angabe) gab es auch etwa 1 000 Frauen. Mehrfach wurde das Lager ab etwa Anfang 1946 mit Transporten aus anderen, aufgelösten Internierungslagern aufgefüllt. Die höchste Belegung hatte das Speziallager Nr. 2 im Frühjahr 1947 mit 16.371 Inhaftierten. Etwa 1500 Personen wurden, vornehmlich zum Arbeitseinsatz, in die UdSSR gebracht Die sowjetische Lagerleitung bestand aus dem Natschalnik, seinem Stellvertreter, einem Kommandanten, aus der für Überwachung und Vernehmungen verantwortlichen sogenannten operativen Gruppe und einer relativ kleinen Wachttruppe. Für die inneren Abläufe des Lageralltags, zum beträchtlichen Teil auch für die dringende medizinische Versorgung, mußten Internierte selbst sorgen. Es gab eine Lagerordnung. Minimale Haftzugeständnisse, zu denen der Kontakt mit Angehörigen auf Brief- oder Besuchsbasis zählt, wurden nicht gewährleistet. Es fand auch keine Feststellung des Schuldumfangs der einzelnen Internierten statt. Körperliche Mißhandlungen durch sowjetische Sicherheitskräfte begleiteten oft die Verhaftung und Vernehmung, selten aber den Alltag im Lager. Die Internierten litten unter Enge, Ungeziefer und Kälte. Neben Tuberkulose und Dystrophie gab es durch schlechte hygienische Bedingungen eine Vielzahl von Hautkrankheiten und Ödemen. Wegen der vollständigen Isolierung von der Außenwelt, der Nichtbeschäftigung und Perspektivlosigkeit gehörten Depressionen zu den häufigen psychischen Krankheiten, die den körperlichen Zusammenbruch beschleunigten. Am gravierendsten prägten Hunger und Isolierung den Alltag. Durch die vorübergehende Kürzung der schmalen Rationen im Winter 1946/47, als die Ernährungslage im Speziallager Nr. 2 den Tiefststand erreichte, durch die unzureichende Beheizung und eine Ruhrepidemie, setzte Anfang 1947 ein Massensterben ein. Im Speziallager Nr. 2 Buchenwald starben offiziellen sowjetischen Dokumenten zufolge 7113 Menschen. Sie wurden in Massengräbern beerdigt. Die Angehörigen erhielten keine offizielle Benachrichtigung. Die größte Entlassungswelle gab es im Juli/August 1948. Ab 16. Januar 1950 begann die Auflösung des Lagers, die einen Monat später ihren Abschluß fand. 2415 Personen wurden der DDR-Justiz übergeben, die sie in den berüchtigten "Waldheim-Prozessen" aburteilte, die übrigen entlassen.

Stahlstelen in Buchenwald
Abb. 24: Stahlstelen im Speziallager Buchenwald

 


Stählerne Stelen im Wald (Artikel aus: DIE WELT, 13. Juli 2005, von Sven Felix Kellerhoff)

"Zuerst sieht man nur ein irritierendes Schimmern. Auf den zweiten Blick fallen zwischen den Stämmen des dichten Mischwaldes schmale Silhouetten auf. Und dann erkennt man mannshohe Edelstahlsäulen. Mehr als 1150 Stelen sind es insgesamt, 1,80 Meter hoch und zehn Zentimeter dünn. Jede markiert ein Grab; mal liegen darin nur ein oder zwei Tote, manchmal 20. Mehr als 7000 Menschen wurden nordöstlich der Gedenkstätte Buchenwald verscharrt. Es sind die Opfer der "Umnutzung" des Konzentrationslagers durch die sowjetische Besatzungsmacht. Das trotz des kalten Materials anrührende Mahnmal erinnert an die schreckliche, lange verdrängte Nachgeschichte des KZs. Vor 60 Jahren, im Sommer 1945, suchte der Geheimdienst NKWD in der Sowjetischen Besatzungszone nach Anlagen für die Internierung verdächtiger Deutscher. Millionen entwurzelte Menschen, im Jargon der Zeit "Displaced Persons" genannt, vegetierten in Lagern vor sich hin: Ausländische Kriegsgefangene, Zwangs- und Fremdarbeiter sowie KZ-Häftlinge. Sie sollten rasch heimkehren; nicht zuletzt, um Platz zu schaffen für deutsche Internierte. Die Mächte der Anti-Hitler-Koalition waren sich seit 1944 einig darin, die Funktionärsschicht des geschlagenen Deutschlands wegzusperren. Allerdings blieb es jeder Siegermacht überlassen, wie sie die Internierung organisierte - und welcher Zweck im Vordergrund stand. Als eines der ersten Internierungslager in der SBZ wurde Ende Mai 1945 das bisherige Kriegsgefangenenlager Fünfeichen bei Neubrandenburg eingerichtet. Der erste Bericht über Häftlinge dort datiert vom 9. Juni, und am 11. Juli ging die Barackenanlage auf einem ehemaligen Gutshof als Speziallager Nr. 9 über in die Verantwortung des NKWD. In den kommenden dreieinhalb Jahren saßen mehr als 15 000 Menschen hier ein, jeder dritte von ihnen starb an Entkräftung oder Krankheiten. Weitaus symbolischer als Fünfeichen oder andere zu Speziallagern "umgenutzte" Einrichtungen wie die Gefängnisse Bautzen, Torgau und Hohenschönhausen war jedoch die Weiternutzung von ehemaligen NS-Konzentrationslagern; neben Buchenwald traf das auch für Sachsenhausen bei Berlin zu. Hauptmann Fjodor Matuskow, der einen geeigneten Standort in Thüringen ermitteln sollte, riet zwar von Buchenwald ab, setzte sich jedoch nicht durch. Also trafen ab dem 21. August 1945 Transporte von verhafteten Deutschen hier ein. Insgesamt gingen durch das Speziallager Nr. 2 mehr als 28 000 Häftlinge, von denen mindestens 7113 starben. Verglichen mit dem Interesse der Öffentlichkeit an den Untaten der Nazis ist die Aufmerksamkeit für die Insassen der Speziallager gering. Der wichtigste Grund ist die angenommene "Opfer-Konkurrenz": In der DDR wurde die Weiternutzung der Lager entweder komplett verschwiegen oder aber behauptet, sämtliche Insassen seien NSDAP-Anhänger gewesen. Daß in Wirklichkeit spätestens ab Winter 1945/46 nicht mehr die Isolierung verstockter Hitler-Anhänger die Hauptaufgabe der Lager war, sondern das Wegsperren von Gegnern der neuen, "sozialistischen" Staatsordnung, wurde verschwiegen. Die SED-Version hält sich teilweise bis heute. Eine Konferenz der Gedenkstätte Buchenwald aus Anlaß des 60 Jahrestags der "Umwidmung" zum Speziallager Nr. 2 ist jetzt der Instrumentalisierung und Aufarbeitung der sowjetischen Internierungslager nachgegangen. Kurz zuvor hatten bereits die Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und die "Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur" in Zinnowitz auf Usedom mehr als 100 ehemalige Insassen der Speziallager versammelt. Beide Tagungen zeigten, wie schwierig dieses Thema auch 15 Jahre nach der Einheit noch ist. Das liegt einerseits an der menschlich verständlichen, der Sache jedoch oft hinderlichen Vehemenz, mit der die Opfer des sowjetischen Repressionsapparates ihre Interessen vertreten. In Zinnowitz kam es bei einer Diskussion mit Knut Nevermann, dem Stellvertreter von Kulturstaatsministerin Christina Weiss, beinahe zum Eklat: Nevermann, ein erklärter 68er, wurde heftig persönlich attackiert. Derlei fördert nicht die Bereitschaft, das Schicksal der Opfer des Stalinismus neben das der KZ-Überlebenden zu stellen. Andererseits, das zeigte die Tagung in Buchenwald, gibt es immer noch zu wenig Forschung über die Speziallager. So hat erst jetzt der Historiker Wolfram von Scheliha die öffentliche Wahrnehmung der sowjetischen Speziallager in Zeitungen untersucht. So forschen erst seit wenigen Jahren Oral-history-Experten nach den Erinnerungen von Zeitzeugen. Vergleicht man Konzentrationslager und Speziallager nüchtern, erkennt man große Unterschiede: In den sowjetischen Lagern wurde nicht systematisch gemordet und keine Zwangsarbeit geleistet. Trotzdem war die Todesrate in den sowjetischen Lagern aufgrund der verheerenden Versorgung mit durchschnittlich einem Drittel fast so hoch wie in den Nazi-KZs mit 40 bis 45 Prozent (Vernichtungslager wie Auschwitz-Birkenau oder Treblinka nicht mitgerechnet). Das menschliche Leid läßt sich ohnehin nicht gegeneinander aufrechnen. Angesichts dessen bleibt die Erinnerung an die Speziallager, in denen eben nicht nur Nazis oder Kriegsverbrecher einsaßen, sondern Zehntausende völlig Unschuldige, schwierig. Nicht einmal guter Wille kann daran etwas ändern: Vorbildlich weisen sämtliche Tafeln in Buchenwald auf die Mahnorte für die Speziallagerzeit hin - und trotzdem findet nur ein kleiner Bruchteil der jährlich knapp 600 000 Besucher den Weg zum abgelegenen Gräberfeld mit seinem beeindruckend Mahnmal und der benachbarten Ausstellung."

 

Die Totenlisten, von der Registratur des Lagers seit 1945 angelegt, sind nicht vollständig überliefert und enthalten nur minimale Angaben (Name, Vorname, Geburtsjahr, Todesdatum – ab 1947 teilweise auch Registriernummer und Todesursache). Die vermerkte Todesursache muss jedoch zumindest als zweifelhaft gelten. Die Schreibweise lässt erkennen, wie kompliziert eine Identifizierung bzw. Zuordnung der Namen ist. Am 15. Februar 1950 war Buchenwald bis auf ein kleines Nachkommando geräumt. Aber nicht alle Inhaftierten erlangten die Freiheit. Über 2 400 Internierte kamen von Buchenwald in das Zuchthaus Waldheim und wurden dort durch deutsche Gerichte verurteilt.

4.3. Speziallager 3 in Berlin-Hohenschönhausen (Mai 1945 – Oktober 1946)

Anfang Mai 1945 veranlasste die Abteilung Spezlager der 1. Belorussischen Front auf dem Gelände der ehemaligen Haftanstalt Berlin-Hohenschönhausen in der Genslerstraße 66-72 den Aufbau eines Speziallagers. Ab 1938/39 existierte auf dem benachbarten Areal bereits ein kleines Zwangsarbeiterlager, über das wenig bekannt ist. Ab Mai 1945 ließ die Sowjetische Militäradministration (SMAD) auf diesem Gelände durch ein Kommando von 90 verhafteten Deutschen aus dem Speziallager Landsberg/Warthe für alle im Großraum Berlin festgenommenen Deutschen einen stacheldrahtbegrenzten Holzzaun errichten. Die verhafteten – häufig noch minderjährigen – Deutschen, denen Werwolftätigkeit, antisowjetische Agitation oder Spionage vorgeworfen wurde, sperrte man in das Speziallager mit der Nr. 3. Insgesamt durchliefen dieses Lager etwa 20 000 Häftlinge. Das Speziallager Nr. 3 diente bis zum Eintreffen der Amerikaner, Briten und Franzosen im Westteil Berlins als Sammellager aller in der Stadt existierenden und dann nur noch der im sowjetischen Sektor betriebenen NKWD-Gefängnisse. Unter den Inhaftierten befanden sich Funktionäre der NSDAP, Beamte unterschiedlicher Dienststellen, Polizeioffiziere oder Aufseher von Zwangsarbeitern und sowjetische Kriegsgefangene. Eine weitere Betroffenengruppe bildeten Journalisten sowie Künstler. Aber auch vorwiegend Jugendliche kamen wegen des Verdachts der Werwolftätigkeit nach Hohenschönhausen. Ärzte der Berliner Charite durchliefen das Lager ebenso wie einige Hundert Offiziere der Wehrmacht und Angehörige paramilitärischer Organisationen. Nach Auflösung dieses Lagers im Oktober 1946 wurde das Gelände als zentrales sowjetisches Untersuchungsgefängnis in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) genutzt. 1947 ließen die Sowjets von Häftlingen unterirdische Haft- und Folterzellen (U-Boot genannt) in den Kelleranlagen der ehemaligen NSV-Großküche einbauen; dort waren zahlreiche Häftlinge über Monate hinweg eingepfercht. Nach Gründung der DDR übernahm das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) das Gefängnis und baute es zum zentralen Untersuchungsgefängnis aus. Die Geschichte des Gefängnisses war auch zur DDR-Zeit von der Verfolgung politischer Oppositioneller bzw. Verdächtiger geprägt. Die Gefangenen wurden unter menschenverachtenden Haftbedingungen eingesperrt. Bis heute ist die Anzahl der im sowjetischen Internierungslager und in der Haftanstalt Umgekommenen nicht belegt. Die Anzahl der bis zum Jahr 1950 Umgekommenen wird von 900 bis über 3 000 geschätzt.

4.4. Speziallager Nr. 4 (3) in Bautzen (Mai 1945 – März 1950)

Am nördlichen Stadtrand Bautzens wurde Anfang des Jahrhunderts die zu ihrer Zeit modernste Strafvollzugsanstalt Sachsens erbaut. Bereits kurz nach Errichtung erhielt das Zuchthaus wegen der aus gelben Klinkern bestehenden Gebäudemauern seinen berühmt-berüchtigten Beinamen "Gelbes Elend". Von Mai 1945 bis 1950 diente die Anstalt dem sowjetischen NKWD als Speziallager zunächst zur Internierung von Personen, die dem nationalsozialistischen Regime nahegestanden hatten. Diese Internierung fand ohne jede Einzelfallprüfung statt. Später wurden verstärkt Personen inhaftiert, die durch sowjetische Militärtribunale (SMT) in Geheimverfahren unter Verletzung aller rechtsstaatlichen Normen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden waren. So waren im Speziallager Bautzen nationalsozialistische Funktionsträger, aber vor allem sozialdemokratische und bürgerliche Gegner des stalinistischen Systems sowie viele willkürlich Festgenommene unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert. Bis Dezember 1948 trug das Speziallager Bautzen die Nr. 4. Nach der Auflösung der kleineren Speziallager erhielt Bautzen ab 01. Januar 1949 bis zu seiner Auflösung die Ordnungsnummer 3. Mindestens 2 800 Tote lassen sich in der Zeit von 1945 bis zur Übergabe des Lagers 1950 an die deutsche Volkspolizei bisher aus in Moskau lagernden Akten der Lagerverwaltung belegen. Ehemalige Häftlinge gehen von einer höheren Zahl an Opfern aus. Insgesamt durchliefen dieses Speziallager 27 285 Gefangene. Am 20. März 1950 erfolgte die offizielle Auflösung des Lagers. Knapp 6 000 Häftlinge wurden an die deutschen Machtorgane übergeben. Von 1950 bis 1989 unterstand Bautzen I dem Ministerium des Innern der DDR, Abteilung Strafvollzug. Nach Entlassung der letzten SMT-Verurteilten 1956 wurden nun in erster Linie mehrfach vorbestrafte und wegen schwerer Delikte langzeitverurteilte Kriminelle inhaftiert.

4.5. Speziallager Nr. 5 in Ketschendorf (April 1945 – Februar 1947)

 Der Befehl Nr. 00461 des NKWD bestimmte auch die Errichtung eines Speziallagers in der Stadt Fürstenwalde. Deshalb wurde das Speziallager Nr. 5 wurde Ende April 1945 in einer Wohnsiedlung der Deutschen Kabelwerke (DEKA-Siedlung) errichtet, die sich am Rande des Ortes Ketschendorf ca. zwei Kilometer entfernt von der Stadt Fürstenwalde befand. Das Dorf Ketschendorf wurde 1950 nach Fürstenwalde eingemeindet. Die Wohnhäuser wurden provisorisch mit einem Stacheldrahtzaun umgeben, der später durch eine drei Meter hohe Bretterwand mit Scheinwerfern und Bewachungstürmen verstärkt wurde. Hauptsächlich wurden Internierte aus Berlin und dem Land Brandenburg hier eingewiesen. Zu den Gefangenen des Speziallagers Nr. 5 gehörten deutsche Zivilpersonen aller Alters- und Berufsgruppen. Außer diesen Zivilinternierten wurden aber auch deutsche Kriegsgefangene im Lager festgehalten. Ferner waren in Ketschendorf "Ostarbeiter", russische Emigranten und Soldaten der Wlassow-Armee interniert, bevor sie - häufig zwangsweise - in die Sowjetunion zurückgeführt wurden. Für diese Häftlingsgruppen war das Speziallager Nr. 5 Sammel- und Durchgangslager. Im November 1945 gab es - laut Zeitzeugenberichten - einen Transport fast aller im Lager befindlichen Russen in die Sowjetunion. Doch auch danach wurden bis Januar 1947 weiterhin sowjetische Staatsbürger im Speziallager Nr. 5 interniert. Die Gesamtzahl der Grabanlagen und die genaue Zahl der Toten sind nicht bekannt. Schätzungen von Zeitzeugen nennen für die Dauer des Bestehens des Speziallagers Nr. 5 von Mai 1945 bis Februar 1947 die Zahl von mindestens 6.000 Verstorbenen. Bis heute ist das Schicksal unzähliger Vermißter nicht aufgeklärt. Anfang 1947 gab es kaum noch Einlieferungen in das Speziallager Ketschendorf. Die sowjetische Verwaltung befahl daher die Auflösung des Lagers, was jedoch nicht zur Entlassung der kranken und entkräfteten Menschen führte. Im Februar 1947 wurden die Internierten verlegt und das Speziallager Nr. 5 in Ketschendorf damit aufgelöst. Die Verlegungen erfolgten in die Speziallager Nr. 1 Mühlberg, Nr. 6 Jamlitz, Nr. 7 Sachsenhausen und Nr. 9 Fünfeichen. Diejenigen, die in die Sowjetunion deportiert werden sollten, kamen nach Frankfurt/Oder in das Lager Nr. 69. Das in Ketschendorf zurückgelassene Auflösungskommando von 60 Personen kam im Mai 1947 in das Speziallager Nr. 2 Buchenwald.

4.6. Speziallager Nr. 6 in Jamlitz (August 1945 – April 1947)

Auf einem von alten Kiefern umgebenen Gelände zwischen dem Bahnhof und dem Dorf Jamlitz, auf dem bereits seit November 1943 ein Außenlager des KZ Sachsenhausen existierte, wurde im September 1945 das Speziallager Nr. 6 errichtet. Das von der SS sogenannte "Arbeitslager Lieberose" war bereits im Februar 1945 aufgelöst worden. In russischen Dokumenten wird für das Lager in Jamlitz die Ortsbezeichnung Lieberose nach der naheliegenden Bahnstation verwendet. Bis Kriegsende wurde das Lager von der Waffen-SS als Kaserne weiter genutzt, stand aber nach der Beschlagnahme durch die Rote Armee leer. Lediglich einzelne Baracken dienten zwischenzeitlich als Flüchtlingsunterkünfte. Ende August 1945 schließlich richtete ein Vorkommando des bis dahin noch in Frankfurt/Oder befindlichen Speziallagers Nr. 6 das Lagergelände notdürftig für die Verlegung der Häftlinge her. Ursprünglich befand sich das Speziallager Nr. 6 in dem östlich der Oder gelegenen Teil Frankfurts, der sogenannten Dammvorstadt (heute Slubice). Da aufgrund alliierter Absprachen das Gebiet östlich der Oder jedoch unte polnische Verwaltung kam, verlegte das NKWD das Lager nach Westen in die SBZ. Den Eintragungen in den sowjetischen Akten zufolge gab es noch bis Ende 1945 Einweisungen in das Speziallager Nr. 6 "Frankfurt", während die Bezeichnung Speziallager Nr. 6 Jamlitz erstmals für März 1946 festzustellen ist. Meistens aber wurde die Lagernummer ohne Ortsbezeichnung verwendet. Insgesamt durchliefen zwischen dem 13. September 1945 und dem 9. April 1947 10 213 Personen das Lager. Die Anzahl der Häftlinge schwankte jedoch. Es kamen nicht nur größere Transporte im Lager an, sondern es gingen mehrfach kleinere Transporte in die Speziallager Nr. 3 Hohenschönhausen und Nr. 7 Sachsenhausen, oder aber zurück in das Speziallager Nr. 5 Ketschendorf bzw. in das Lager Nr. 69 in Frankfurt/Oder. Das Speziallager Jamlitz war in ein Frauen- und ein Männerlager geteilt. Mit der Deportation arbeitsfähiger Internierter begann Anfang 1947 die Auflösung des Speziallagers Nr. 6. Am 26. Januar 1947 wurden, nach Prüfung durch eine Ärztekommission, 365 Internierte von Jamlitz in das Speziallager Nr. 5 Ketschendorf gebracht, um von dort in die Sowjetunion deportiert zu werden. Grundlage für diese Deportation dürfte der Befehl aus Moskau vom 26. Dezember 1946 gewesen sein, wonach 27.500 Arbeitskräfte aus den Speziallagern in die Sowjetunion gebracht werden sollten. Einige der Jamlitzer Deportierten kamen aber nur bis Brest-Litowsk, von wo aus sie wieder zurück nach Deutschland ins Speziallager Nr. 2 Buchenwald geschickt wurden, weil sie aufgrund ihres körperlich schlechten Zustandes nicht arbeitstauglich waren. Nachdem Ende Februar 1947 100 Facharbeiter ("Spezialisten") in das Speziallager Nr. 7 Sachsenhausen verlegt worden waren, folgten am 20. März 13 "Radiospezialisten" in das Speziallager Nr. 4 Bautzen. Das NKWD verlegte zwischen dem 30. März und dem 9. April 1947 die restlichen Jamlitzer Internierten in das Mühlberger Speziallager Nr. 1 (ca. 2.200 Häftlinge) und in das Speziallager Nr. 2 in Buchenwald (ca. 4.000). Das Frauenlager wurde nahezu komplett nach Mühlberg verlegt. Im April 1947 hörte das Lager auf zu existieren. Teile des Lagers wurden eine Zeitlang durch Einheiten der Sowjetarmee genutzt. Ab 1949 ging das Gelände in Volkseigentum über, das Land wurde parzelliert und Umsiedlern zur Bebauung angeboten.

4.7. Speziallager Nr. 7 in Werneuchen/Weesow (Mai 1945 - August 1945)

Das Lager Werneuchen wurde - vermutlich erstmals - am 10. Mai 1945 in einer Ausführungsbestimmung zu dem vom NKWD im April 1945 verfügten Internierungsbefehl erwähnt. Es gehört damit - neben den Speziallagern Nr. 5 Ketschendorf und Nr. 9 Fünfeichen - zu den ersten Speziallagern, die im Befehlsbereich der 1. Belorussischen Front der Roten Armee auf dem Territorium der späteren SBZ entstanden. Gegen Kriegsende waren auf einem Feldflughafen bei Werneuchen kriegsgefangene Wehrmachtangehörige und internierte deutsche Zivilisten, aber auch Angehörige der Wlassow-Armee, vom NKWD festgehalten worden. Die Bewachung oblag der neu gegründeten Speziallagerverwaltung Nr. 7, die später - im August 1945 - in das unterdessen aufgelöste Konzentrationslager Sachsenhausen umzog. Mitte bis Ende Mai aber wurden die Häftlinge, die in Werneuchen auf offenem Feld campierten (dem noch heute existierenden Flugfeld), in das benachbarte Weesow in ein improvisiertes Speziallager verlegt. Weesow ist ein Dorf in der Nähe der Kleinstadt Werneuchen. Das Speziallager Weesow diente als Sammelstelle für alle Personen, die vom NKWD in und um Berlin verhaftet worden waren. Neben den direkten Einweisungen über die operativen Gruppen des NKWD, die für die Verhaftungen verantwortlich waren, waren es vermutlich vor allem Transporte aus dem Speziallager Nr. 3 Berlin-Hohenschönhausen, die über Weesow und Frankfurt/Oder in das Hinterland der 1. Belorussischen Front weitergeleitet wurden. Dort diente das Speziallager in Landsberg an der Warthe als Auffanglager. Das Lager Weesow haben in der Zeit von Mai bis August 1945 - die Schätzungen schwanken erheblich - 9.000 bis 13.700 Internierte durchlaufen. Mitte August, nachdem die Speziallagerverwaltung Nr. 7 in Sachsenhausen einen geeigneteren Lagerstandort gefunden hatte, wurde das Speziallager in Weesow aufgelöst. Die bei der Auflösung des Lagers 16. August 1945 noch in Weesow befindlichen Häftlinge - ca. 2 000 - mußten in einem 40 Kilometer langen Fußmarsch nach Oranienburg laufen: Im Lager Weesow starben schätzungsweise 1.000 bis 1.500 Menschen. Die Toten wurden am Ortsrand in einer stillgelegten Kiesgrube in Massengräbern beerdigt. An dieser Stelle befindet sich heute ein Gedenkstein.

4.8. Speziallager Nr. 7 (1) Sachsenhausen (August 1945 – März 1950)

Das sowjetische Speziallager Nr.7, bzw. ab 1948 Speziallager Nr.1, war ein alliiertes Internierungslager und befand sich zwischen 1945 und 1950 teilweise auf dem Gelände des KZ Sachsenhausen bei Oranienburg. Nachdem im Sommer 1945 die letzten der befreiten Häftlinge des KZ's das Gelände verlassen hatten, wurde das Lager seit August 1945 durch die Sowjetische Militäradministration als Internierungslager genutzt. Die Nutzung begann mit der Verlegung von 150 Häftlingen des sowjetischen Speziallagers Nr. 7 aus Weesow bei Werneuchen. Dieses Lager wurde im August 1945 infolge ansteigender Häftlingszahlen und Platzmangels zu klein. Außer Krematorium und Vernichtungsanlage wurden fast alle Lagergebäude, vor allem die Holzbaracken, das Lagergefängnis und die Wirtschaftsgebäude, wieder in Betrieb genommen. Gegen Ende 1945 war das Lager wieder voll belegt (12.000 Personen). Im folgenden Jahr waren zeitweise bis zu 16.000 Menschen ohne Rechtsgrundlage und unter menschenverachtenden Bedingungen im Lager eingesperrt. Etwa 2.000 weibliche Häftlinge lebten in einem gesonderten Bereich des Lagers. Das als "Zone I" bezeichnete ehemalige Schutzhaftlager war für internierte deutsche Zivilisten ohne rechtskräftige Verurteilung vorgesehen. In dem "Zone II" genannten ehemaligen Sonderlager für alliierte Kriegsgefangene befanden sich zunächst Sowjetbürger, die auf ihre Rückführung in die Sowjetunion warteten. Das Lager war kein Arbeitslager. Die Häftlinge litten unter der erzwungenen Untätigkeit, unter ständigem Hunger, Kälte, Ungeziefer und medizinisch nicht behandelten Folgeerkrankungen. Sie starben zu Tausenden und wurden in Massengräber geworfen und verscharrt. Von den in den Jahren 1945 bis 1950 etwa 60.000 Inhaftierten starben etwa 12.000 Häftlinge an Unterernährung, Krankheiten, psychischer und physischer Entkräftung. Das Speziallager war von der Außenwelt fast völlig isoliert. Angehörige wurden nicht über den Verbleib und das Schicksal der Festgehaltenen informiert. Nach Ende der Entnazifizierung in der Sowjetischen Besatzungszone wurden im Sommer 1948 etwa 5.000 Häftlinge aus dem Speziallager Nr. 7 entlassen. Die Inhaftierten waren Mitglieder der NSDAP, Sozialdemokraten, viele Jugendliche sowie willkürlich Denunzierte und politisch Missliebige, von denen Opposition gegen das sozialistisch-kommunistische Gesellschaftssystem erwartet wurde. Nachdem 1948 das Speziallager Mühlberg geschlossen wurde, war Sachsenhausen als Speziallager Nr. 1 das größte von drei Speziallagern in der sowjetischen Besatzungszone. Außerdem war es ab dann zentrales Lager für verurteilte Frauen mit einer geringen Haftstrafe, was 15 Jahre und weniger beinhaltete. Im Frühjahr 1950, wenige Monate nach Gründung der DDR, wurden die letzten Speziallager aufgelöst. Aus dem Speziallager Nr. 1 wurden ca. 8.000 Häftlinge entlassen, eine kleinere Gruppe in die Sowjetunion transportiert. 5.500 Häftlinge überstellte der sowjetische Geheimdienst an die Behörden der DDR. Unter ihnen befanden sich 1.119 Frauen und ca. 30 der im Lager geborenen Kinder, die in die DDR Frauenstrafanstalt Hoheneck/Stollberg verlegt wurden. Das Unrecht der Weiternutzung der nationalsozialistischen Konzentrationslager durch die sowjetische Besatzungsmacht und das damit verbundene erneute qualvolle Sterben Tausender Menschen wurde verschwiegen oder verharmlost. Einige Überlebende wurden noch viele Jahre in DDR-Zuchthäusern wie Waldheim und Bautzen festgehalten. Ein Teil des Lagergeländes verblieb bei der Sowjetarmee, ein anderer Teil ging an die deutsche Kasernierte Volkspolizei und später NVA über.

4.9. Speziallager Nr. 8 in Torgau (September 1945 – Januar 1947)

Bis zum Kriegsende 1945 befanden sich in Torgau zwei Wehrmachtgefängnisse: Fort Zinna mit seinem neu errichteten Haftgebäude existierte seit 1936, das Wehrmachtgefängnis Brückenkopf wurde im August 1939 eilends zusätzlich eingerichtet. Im August 1945 richtete die sowjetische Geheimpolizei des NKWD im Torgauer Fort Zinna das Speziallager Nr. 8 ein. Das Lager ging aus dem Speziallager Nr. 8 im westpreußischen Schneidemühl hervor. Das Lager war für die Aufnahme von Verhafteten aus der Provinz Sachsen zuständig. Ein Teil der Verhafteten wurde direkt aus den "GPU-Kellern" der Operativgruppen in Wittenberg, Jessen, Herzberg, Delitzsch, Bitterfeld und Bad Liebenwerda in das Lager überstellt. Im März 1946 wurde das Lager in die benachbarte Seydlitz-Kaserne verlegt, um das Gefängnis für die Unterbringung von Verurteilten sowjetischer Militärtribunale zu räumen. Im Januar 1947 wurde das Speziallager Nr. 8 nach Verlegung der Gefangenen in die Speziallager Nr. 2 Buchenwald und Nr. 1 Mühlberg/Elbe aufgelöst. Im Lager Nr. 8 waren gleichzeitig mehr als 8 000 Deutsche wegen tatsächlicher oder angeblicher Mitgliedschaft beziehungsweise Funktion in nationalsozialistischen Organisationen vollkommen von der Außenwelt isoliert. Sie wurden nicht wegen konkreter Vergehen angeklagt. Ihre strafrechtliche Verurteilung war nicht beabsichtigt. Unter den Gefangenen der Lager Nr.8 und Nr.10 befanden sich auch Menschen, die persönlich Verantwortung für Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus trugen.

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Abb. 25: Gedenktafel an die Opfer der Speziallager in Torgau

Gedenken an Opfer Spezlager 1
Abb. 26: Gedenkplatz mit Gedenkplatten an die Opfer der Speziallager in Torgau vor dem Fort Zinna

Mehr als ein Drittel der insgesamt etwa 120000 deutschen Gefange­nen überlebte die Haft in den Speziallagern nicht. In den beiden Torgauer Lagern starben nach sowjetischen Akten etwa 800 Menschen, 130 von ihnen wurden in Torgau hingerichtet. Viele Gefangene litten unter unmenschlichen Haftbedingungen, Hunger, Misshandlungen und Folter.

Mauer und Teil Kreuzbau Fort Zinna
Abb. 27: Außenbefestigung des Forts Zinna

Torgau - Seydlitzkaserne
Abb. 28: Luftbildaufnahme der ehemaligen Seydlitzkaserne, ab 1946 war hier das Speziallager Nr. 8 untergebracht
(Quelle: 2007 Google, Image 2008 GeoContent, 2007 Tele Atlas)

Zwischen 1894 und 1901 erbaut, diente die Seydlitz-Kaserne zunächst dem 12. thüringischen Husarenregiment als Wohnstätte. Von 1950 belegten bis 1994 die sowjetischen Truppen des Nachrichtenregiments den preußischen Militärbau. 2005 wurde nach knapp 4-jähriger Bauzeit der Gebäudekomplex der ehemaligen Seydlitz-Kaserne in Torgau, Dommitzscher Straße fertiggestellt. Nach der Fertigstellung konnten das Vermessungsamt Torgau, die Staatsanwaltschaft Leipzig (Zweigstelle Torgau) und die Polizeidirektion Westsachsen (Außenstelle Torgau) in die modernisierten Räumlichkeiten des Husarenparks 19 einziehen.

4.10. Speziallager Nr. 9 in Fünfeichen (Mai 1945 – November 1948)

Von 1939 bis 1945 befand sich das Kriegsgefangenenlager Stalag II A auf dem Gelände nahe dem Gutshaus Fünfeichen. Am 28. April 1945 wurde das Lager von einer sowjetischen Panzereinheit befreit. Unmittelbar darauf wurde das Lager im Mai 1945 zum Speziallager Nr. 9 Fünfeichen. Insgesamt über 15 000 Menschen kamen im Verlaufe von drei Jahren als Häftlinge in das Lager. Am 04. November 1948 wurde das Speziallager Nr. 9 in Fünfeichen aufgelöst. Etwa 4 800 Häftlinge wurden entlassen, 3 000 kamen in andere Lager. Seit 1952 wurde das Gelände zunehmend militärisch genutzt. Eine Besonderheit des Lagers Fünfeichen war der hohe Anteil an Internierten, die einer Beschäftigung nachgehen konnten. Darin unterschied es sich von allen anderen Lagern in der SBZ. Neben aktiven Nationalsozialisten, Angehörigen von Straforganen, Spionen und Saboteuren waren hier auch Kriegsgefangene interniert. Einige Quellen sprechen von 7 000 Toten, die es im Speziallager Nr. 9 gegeben habe. 1969 übernahm die Nationale Volksarmee aus Sicherheitsgründen das gesamte Gelände, das Gebiet des ehemaligen Lagers mitsamt der Gedenkstätte blieb der Öffentlichkeit verschlossen. Der Friedhof wurde als Schießplatz genutzt, obwohl Soldaten immer wieder menschliche Knochen bei ihren Übungen fanden. Der Glockenturm wurde besudelt, der Blitz schlug in ihn ein. Schwere Fahrzeuge fuhren regelmäßig über die Gräber. In diesem unwürdigen Zustand übernahm die Stadt Neubrandenburg Ende 1989 die Gedenkstätte. Man begann sofort damit, die Beschädigungen durch die Nationale Volksarmee zu beseitigen. Gleichzeitig war es aber auch an der Zeit, an das zu DDR-Zeiten verschwiegene Speziallager Nr. 9 Fünfeichen zu erinnern. Eine Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen und Mitarbeiter des Regionalmuseums Neubrandenburg, die schon in den 80er Jahren Material über beide Lager gesammelt hatten, veranlaßten im April 1990 Grabungen auf dem Gelände des ehemaligen Speziallagers. Man fand in verschiedenen Teilen des Waldes Massengräber aus der Nachkriegszeit. Unter großer Anteilnahme der Medien fand am 8. Juli 1990 ein Gottesdienst für die Tausenden Toten in Fünfeichen statt.

4.11. Speziallager Nr. 10 in Torgau (Mai 1946 – Oktober 1948)

Das Fort Zinna wurde von Mai 1946 bis Oktober 1948 unter der Bezeichnung Speziallager Nr. 10 weiter betrieben, nachdem hier bis März das Speziallager Nr. 8 untergebracht war. Am 14. Mai 1946 wurde das Gefängnis Nr. 7 des NKWD in Frankfurt/Oder aus bisher unbekannten Gründen hierher verlegt. Das Lager Nr.10 diente als Durchgangsgefängnis für Tausende Deutsche und sowjetische Staatsbürger vor dem Abtransport in die Arbeitslager des GULag-Systems in der Sowjetunion. Sie waren von sowjetischen Militärtribunalen verurteilt worden. Unter den deutschen Gefangenen befanden sich aktive Gegner der sowjetischen Besatzungspolitik, Jugendliche unter Werwolf-Verdacht und wegen krimineller Delikte bestrafte Personen. Weiterhin waren Menschen inhaftiert, die in den Westzonen gearbeitet hatten oder dort aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und dann in der SBZ als Spione verurteilt worden waren. Die sowjetischen Gefangenen waren vor allem für Vergehen gegen die militärische Disziplin, wegen Landesverrats oder wegen krimineller Delikte bestraft worden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich hier Gefangene befanden, die wegen "konterrevolutionärer", "militärischer" und "gewöhnlicher" Verbrechen nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches der RSFSR verurteilt wurden waren. Nur ein verschwindend geringer Teil der deutschen SMT-Verurteilten war wegen Verbrechen während des Dritten Reiches verurteilt worden.

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Abb. 29: Eingang der ehemaligen Speziallager Nr. 8 und 10 Fort Zinna in Torgau

Am 15. Mai 1948 wurde die Auflösung des Speziallagers Nr. 10 angeordnet. Einige wenige Inhaftierte gelangten über das Speziallager Mühlberg in die Freiheit. Die verbliebenen Verurteilten kamen in die Speziallager Sachsenhausen und Bautzen. Ende Januar 1950 übernahm die DDR-Volkspolizei vom Ministerium der Justiz (MdJ) sechs Haftanstalten, darunter Fort Zinna, für den Strafvollzug an denjenigen SMT-Verurteilten, die bei Auflösung der letzten drei Speziallager an das Ministerium des Innern der DDR (MdI) übergeben worden waren. Die DDR-Volkspolizei nutzte das Gefängnis Fort Zinna von 1950 bis 1990 für den Strafvollzug, in den fünfziger Jahren saßen insbesondere politische Gefangene hier ein.

4.12. NKWD-Gefängnis Nr. 5 (1) in Neustrelitz (Mai 1945 - Dezember 1946)

Das NKWD betrieb in den besetzten Gebieten neben den Sammel- und Filtrationslagern auch Gefängnisse. Die regional gegliederten Operativgruppen verfügten über provisorische Gefängnisse, die im deutschen Sprachgebrauch auch fälschlicherweise als "GPU-Keller" genannt wurden. Jedem Operativsektor unterstanden mindestens ein Zentralgefängnis und weitere standortgebundene Gefängnisse. In der Provinz Mecklenburg wurde ein Zentralgefängnis in Strelitz eingerichtet. Am 29. April 1945 besetzte die Rote Armee die Stadt Neustrelitz. Seit 1945 war die Stadt sowjetische Garnison. Insgesamt soll sie ca. 25.000 Personen umfasst haben und zählte damit etwa so viele Einwohner wie die deutsche Bevölkerung in Neustrelitz'. Im Mai 1945 übernahm der sowjetische NKWD das seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts bestehende Zuchthaus als Gefängnis Nr. 5 (Nr. 1) Strelitz der Abteilung Speziallager des NKWD. Hier waren überwiegend Sowjetbürger zur Repatriierung in Lager der Sowjetunion inhaftiert. Das Lager nahm aber auch eine zunehmende Zahl von verurteilten Deutschen aus der Provinz Mecklenburg und dem Land Brandenburg auf. Zahllose Inhaftierte starben unter den schlechten Bedingungen. Zum Tode Verurteilte wurden in einem nahen Wald erschossen. Im Dezember 1946 wurden die etwa 1 360 deutschen SMT-Verurteilten in das Speziallager Nr. 7 Sachsenhausen verlegt. Dort waren sie streng isoliert von den anderen Häftlingen untergebracht.

4.13. NKWD-Gefängnis Nr. 6 in Berlin-Lichtenberg (August 1945 - 1953)

Ab 1906 wurde dieses Gebäude in der heutigen Alfredstraße 11 im Berliner Ortsteil Lichtenberg als Gefängnis des Amtsgerichtes Lichtenberg, ab Anfang der Zwanziger Jahre für Frauen und Jugendliche genutzt. Nach dem 2. Weltkrieg wurde es im August 1945 vom Sowjetischen Geheimdienst übernommen, der hier bis Anfang der Fünfziger Jahre eine Untersuchungshaftanstalt unterhielt und auch Hinrichtungen durchführen ließ. Das Gefängnis fungierte bis Anfang 1947 als zentrale Hinrichtungsstätte im Verwaltungsbereich der Abteilung Speziallager. Danach übernahm der Operativsektor Berlin den Betrieb der Haftanstalt als sogenanntes "Inneres Gefängnis". Seinem Charakter nach war das Gefängnis eine Untersuchungshaftanstalt. Neben Untersuchungshäftlingen aus allen Teilen der SBZ befanden sich hier auch SMT-Verurteilte. Es waren auch Häftlinge darunter, die durch ein Fernurteil eines Sondergerichts in Moskau verurteilt worden waren. Diese Personen wurden ausnahmslos in die Sowjetunion deportiert. Bis 1947 wurden im Gefängnis Lichtenberg auch Todesurteile vollstreckt. Bis Anfang 1990 befand sich hier eine Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) der DDR, die im Februar 1990 dem Ministerium des Inneren der DDR unterstellt und nach der Herstellung der Deutschen Einheit im Oktober 1990 geschlossen wurde. Seit 1998 wird dieses Gebäude als Justizvollzugsanstalt genutzt.

4.14. NKWD-Gefängnis Nr. 7 in Frankfurt/Oder (Mai 1945 – Mai 1946)

Dieses historische Gerichtsgefängnis in der Collegienstraße war 1933 bis 1945 Gestapo-Gefängnis, wo auch Hinrichtungen vorgenommen worden. Im Mai 1945 richteten SMERSCH-Organe der 1. Weißrussischen Front im Gebäudekomplex der ehemaligen Hornkaserne ein Etappengefängnis ein. Ab Mitte Juni 1945 wird diese Haftanstalt als "Etappengefängnis des NKWD beim Speziallager Nr. 6 des NKWD bezeichnet. Nach der Verlegung des Lagers Nr. 6 nach Jamlitz erhielt das Gefängnis die Ordnungszahl Nr. 7. Die Einweisungen erfolgten u.a. aus dem Gefängnis Nr. 6 Berlin-Lichtenberg, durch die Untersuchungsabteilung der Operativen Gruppe des Landes Brandenburg und durch verschiedene Militärtribunale. Zu den Insassen gehörten SMT-Verurteilte und Untersuchungshäftlinge. In regelmäßigen Abständen wurden Häftlingstransporte zusammengestellt. Zielorte waren u.a. das Gefängnis Nr. 1 in Brest und Zwangsarbeitslager in Molotovsk, Inta, Rybinsk und Abes. Im Gefängnis Nr. 7 wurde eine bisher unbekannte Zahl von Todesurteilen vollstreckt. Im Mai 1946 erfolgte die Verlegung des Gefängnisses nach Torgau. Etwa 1950 wurde die Einrichtung vom Ministerium für Staatssicherheit übernommen, die das Gebäude bis 1969 als Untersuchungshaftanstalt führte. In den Jahren 1950 bis 1952 war das Gefängnis auch Hinrichtungsstätte. Nach der Fertigstellung eines Neubaus in der Otto-Grotewohl-Straße 53 (heute: Robert-Havemann-Straße 11) zog das MfS dorthin und übergab das alte Gebäude in der Großen Oderstraße 67 (Collegienstraße 10) der Volkspolizei, die das Gefängnis bis zum Ende der DDR weiter als Untersuchungshaftanstalt führte.

4.15. Zuchthaus Waldheim – die Waldheimer Prozesse

 Als sich 1950 die letzten Speziallager auflösten, hofften die meisten Inhaftierten, dass ihr Leidensweg endlich ein Ende gefunden habe. Aber für 3000 von ihnen ergab sich ein unerwartetes Schicksal. Sie wurden in das Zuchthaus Waldheim gebracht. In Waldheim gab es seit dem 18. Jahrhundert ein berüchtigtes Zuchthaus. "Wer nichts wagt, kommt nicht nach Waldheim", hieß es seit langem in der Umgebung. In seiner Krankenabteilung fanden von April bis Juni 1950 die "Waldheimer Prozesse" statt, eines der dunkelsten Kapitel deutscher Justiz. Nach der Gründung der DDR löste die Sowjetische Militäradministration nicht nur sich selbst auf, sondern auch ihre letzten drei Internierungslager Bautzen, Buchenwald und Sachsenhausen. Den Strafanstalten der DDR überließ sie 10.500 Häftlinge zur Verbüßung der von sowjetischen Militärgerichten ausgesprochenen Strafe und der Volkspolizei 3 432, die noch nicht verurteilt waren und ins Zuchthaus Waldheim gebracht wurden. In großer Eile bereitete die SED die Prozesse vor. 20 Sonderstrafkammern wurden gebildet, die Richter vom Berliner Justizministerium aus der ganzen DDR nach politischer Zuverlässigkeit ausgesucht, alles Volksrichter. Walter Ulbricht hatte die Weisung gegeben, die 3432 seien so schnell und so hart wie möglich zu verurteilen. "Urteile unter zehn Jahren durften nicht gefallt werden." Er hatte drei Grunde. Die Gefangenen waren seit vier Jahren von den Sowjets festgehalten. Also durften es keine Unschuldigen sein. Außerdem wollte die DDR der Welt zeigen, dass sie die Verfolgung von NS-Tätern mit grober Energie fortsetzt, im Gegensatz zur "faschistisch" beeinflussten Bundesrepublik, wo Adenauer mit den Alliierten über eine Amnestie verhandelte und außerdem das Gesetz zu Artikel 131 des Grundgesetzes vorbereitete, nach dem ehemalige Nationalsozialisten einen Anspruch auf Wiedereinstellung in den öffentlichen Dienst erhielten. Schließlich war Waldheim ein Vorlauf für Prozesse der Zukunft.  Die Partei wollte sehen, wie weit sie gehen konnte mit der politischen Steuerung der Justiz. Und sie sah, es ging so weit, wie sie wollte. Die Verfahren wurden von der Rechtsabteilung des Zentralkomitees geplant, gesteuert und vor Ort überwacht. Anklageschriften erhielten die Gefangenen oft erst am Abend vor der Verhandlung. Verteidiger wurden kaum und die Öffentlichkeit war gar nicht zugelassen. Erst zum Schluss gab es im Rathaus von Waldheim zehn Prozesse mit "erweiterter Öffentlichkeit" gegen Angeklagte, bei denen man sicher sein konnte, dass die Beweise ausreichten. Denn die anderen Urteile ergingen fast nur auf der Grundlage sowjetischer Protokolle, die nicht weiter überprüft wurden, und zwar meistens wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 von 1945 und der Kontrollratsdirektive Nr. 38 von 1946.  Die Richter waren angewiesen, Urteile unter fünf Jahren nur zu erlassen, wenn vorher eine Kommission zugestimmt hatte, zu der Vertreter des Zentralkomitees, des Justizministeriums und der Volkspolizei gehörten. Nur vier Angeklagte wurden freigesprochen, 32 zum Tode verurteilt und die meisten zu Freiheitsstrafen zwischen 15 und 25 Jahren. Alles in sechs Wochen. Das heißt, jede Kammer hat täglich mindestens drei Verfahren durchgeführt, die Urteile beraten, verkündet und geschrieben. Viele Verhandlungen dauerten nur eine halbe Stunde. Viele Angeklagte waren unschuldig oder sind nur wegen ihrer Mitgliedschaft in NS-Organisationen verurteilt worden. Selbst ein Hitlerjunge war dabei, der am Ende des Krieges als Siebzehnjähriger in einem militärischen Ausbildungslager eine Uniform getragen hatte. Das war alles. Er wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Nur 14 Angeklagte erhielten weniger als fünf Jahre.

4.16. Frauenzuchthaus Hoheneck

Das Frauengefängnis Hoheneck, auch Frauenzuchthaus Hoheneck genannt, war ein Zuchthaus in Stollberg (Erzgebirge) in Sachsen. Der Name, abgeleitet vom 1923 eingemeindeten Stadtteil Hoheneck, ist Synonym für die Verfolgung vieler, aus politischen Gründen inhaftierter Frauen in der DDR. Genaue Inhaftiertenzahlen sind nicht bekannt. Nach dem Krieg erfolgte 1950 die Einlieferung von mehr als 1.000 Frauen durch sowjetische Militärtribunale in der SBZ. Hoheneck wurde zum politischen Frauengefängnis. 1953 wollten die Frauen mit einem Hungerstreik bessere Bedingungen und eine Überprüfung ihrer Verurteilungen erreichen. Dies gelang auch teilweise und von 1954 bis 1956 wurden Frauen nach und nach entlassen. Allerdings verpflichtete man sie bei Androhungen von Strafen zum Schweigen über die Zeit der Inhaftierung. 1970 lebten wieder bis zu 1.600 Häftlinge in dem für 600 Gefangene konzipierten Gefängnis. Ab 1990 wurde Hoheneck als einziges sächsisches Frauengefängnis mit 47 Häftlingen fortgeführt. Mitte der 1990er Jahre waren im Westflügel der JVA auch männliche Strafgefangene (Kurzstrafen) untergebracht. Vollzogen wurde weibliche und männliche Strafhaft, weibliche Untersuchungshaft, sowie weiblicher Jugendarrest. Ende April 2001 wurde das Gefängnis geschlossen und die Gefangenen in andere Anstalten verlegt.

4.17. Internierungslager in der UdSSR

Durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD wurden ab Dezember 1944 Hunderttausende deutscher Ziviliten zur Zwangsarbeit in Lager (Gulag) der Sowjetunion deportiert, überwiegend Frauen. Davon waren zuerst die deutschen Minderheiten auf dem Balkan, die so genannten Volksdeutschen betroffen. Mit Erreichen des Reichsgebietes wurden die Deportationen im heutigen polnischen Staatsgebiet fortgesetzt und erst an der zukünftigen Oder-Neiße-Grenze gestoppt. Diese Zivildeportationen wurden auf der Konferenz von Jalta als so genannte reparations in kind von den Alliierten legitimiert. Etwa ein Drittel dieser Deportierten starb aufgrund der Haftbedingungen durch Hunger, Krankheiten und Kälte oder schon während der Transporte in Viehwaggons. Bei Deportationen von Zivilisten aus der SBZ, "Pelzmützentransport" genannt, wurden Häftlinge der sowjetischen Speziallager, die die sowjetische Besatzungsmacht im 1945 besetzten Deutschland unterhielt, ab Januar 1947 in sowjetische Lager des Gulag transportiert. Die Pelzmützentransporte erhielten ihren Namen daher, dass nach sowjetischen Angaben mehr als 5.000 aus allen Speziallagern deportierte Häftlinge vor ihrer Abreise mit Pelzmützen ausgestattet wurden. Beispielsweise kamen am 8. Februar 1947 ca. 1000 Häftlinge des Speziallagers des NKWD Nr. 1 Mühlberg/Elbe zur Zwangsarbeit nach Sibirien ins Lager 7503/11 Anschero-Sudschensk. Dieser Transport in Güterwagen war bei starker Kälte 33 Tage unterwegs, deshalb wurden die Gefangenen mit Wattebekleidung und Pelzmützen der deutschen Wehrmacht ausgerüstet, um den Transport zu überleben. Die ersten Gefangenen kehrten 1949 und 1950 zurück, während die letzten Inhaftierten 1952 freikamen. 122 Häftlinge des Transports aus Mühlberg starben während der Lagerzeit in Sibirien. Unter den Insassen der Speziallager waren auch viele Jugendliche, weil sie noch 1945 in Wehrertüchtigungslagern eine vormilitärische Ausbildung erhalten hatten. Die Sowjets vermuteten, dass diese Ausbildung zum Zweck der Bildung von Partisanengruppen (Werwolf) diente. Im Speziallager Nr. 1 Mühlberg fanden im Januar 1947 Untersuchungen durch sowjetische Ärzte statt mit dem Ziel der Aussonderung noch arbeitsfähiger Häftlinge. Der Gesundheitszustand der Lagerinsassen war jedoch so schlecht, dass von etwa 12 000 Häftlingen nur ca. 800 für arbeitsfähig erklärt wurden. Das waren zum großen Teil Angehörige von Lagerkommandos (d. h. sie hatten Aufgaben innerhalb des Lagers) in Mühlberg, die infolge minimaler Zusatzverpflegung einen verhältnismäßig guten Gesundheitszustand aufzuweisen hatten. Aus anderen Lagern brachte man noch etwa 200 Häftlinge nach Mühlberg. Diese rund 1 000 zur Deportation ausgesuchten Häftlinge setzten sich aus hauptsächlich zusammen aus Jugendlichen der Jahrgänge 1928/29, denen man die Zugehörigkeit zum Werwolf vorgeworfen hatte, kleinen Funktionsträgern der NSDAP und sonstigen Zivilisten, die der NKWD/MWD als missliebige Personen verhaftet hatte. Die Gesamtzahl der aus Deutschland in Arbeitslager Deportierten wird auf 20.000 bis 23.000 geschätzt. Die Häftlinge mussten dort vor allem im Kohlebergbau und auf Baustellen arbeiten. Zahlreiche Häftlinge überlebten die Strapazen nicht, viele kamen erst in den 50er Jahren nach Hause.

4.18. Die Sowjetischen Militärtribunale in der SBZ

Die bereits seit 1945 in der SBZ agierenden Sowje­tischen Militärtribunale (SMT) verhängten bis 1955 unangemessen hohe Strafen gegen Zivilisten aus beiden deutschen Staaten. Also noch fünf Jahre nach der Auflösung der Speziallager und sechs Jahre nach Gründung der DDR. Da auch nach der deutschen Kapitulation der Kriegszustand formal weiterbestand, kam in der SBZ/DDR der Artikel 8 der sowjetischen Militärgerichtsordnung von 1926 zur Anwendung. Er erlaubte die "Rechtsprechung" von Militärtribunalen (MT) in Gebieten, in denen infolge außergewöhnliche Zustände keine ordentlichen Gerichte funktionierten gegenüber allen Verbrechen, egal von wem sie auch begangen wurden. Die Tribunale wirkten nach Kriegsende zunächst in allen größeren Militäreinheiten ab Divisionsstärke. Darunter befand sich u.a. das MT der 3. Stoßarmee, in deren Hoheitsbereich auch der Landkreis Delitzsch gehörte. Von diesem MT wurde nachweislich mindestens ein Delitzscher Bürger zum Tode verurteilt und erschossen. Daneben gab es MT's der Eisenbahn und Wasserverkehrsbedingungen in der SBZ oder auch das MT des Landes Brandenburg. Ab etwa 1950 wurden die MT's nicht mit ihrer zugehörigen Einheit benannt, sondern erhielten Nummern. Mit der Bildung der Länder in der DDR 1952 gab es MT's nur noch in Berlin, Schwerin, Dresden, Potsdam, Weimar und Halle. In Berlin wirkten Tribunale u.a. in Hohenschönhausen und im Gefängnis Nr. 6 Berlin-Lichtenberg. Die im Abschnitt 3.19 beschriebenen Todesurteile wurden fast ausnahmslos durch das SMT Nr. 48240 gefällt. Die Zahl der durch SMT's verurteilte Deutsche beträgt zwischen 40 000 und 50 000. Das letzte bekannte Urteil eines SMT gegen einen Bürger der DDR wurde am 16. September 1955 gefällt. Zu den geheimen Gerichtsverhandlungen reisten Militärrichter des SMT Nr. 48240 aus Berlin-Lichtenberg in die zentralen MGB-Haftanstal­ten der Länder Brandenburg (Potsdam, Lindenstraße sowie Leistikowstra­ße), Mecklenburg (Schwerin, Demmlerplatz), Sachsen (Dresden, Bautze­ner Straße), Sachsen-Anhalt (Halle/Saale, Am Kirchtor) und Thüringen (Weimar, Carl-von-Ossietzky-Straße). In der MGB-Haftanstalt Chemnitz-Kaßberg ahndete das Militärtribunal "Verbrechen" im sogenannten "Wis­mut-Gebiet". An den Haftstandorten bildeten die Militärjuristen zeitwei­se auch zusammen mit örtlichen Offizieren ein Tribunal. Alle Verfahren wurden auf russisch geführt, auf Grund mangelnder Sprachkenntnisse übersetzten die Dolmetscher die Verfahren oft nur bruchstückhaft. Im Verfahren selbst ließ der Vorsitzende Richter weder Entlastungszeugen noch Verteidiger oder Publikum zu. Die Einsprüche der Beklagten oder Forderungen nach Rechtsmitteln wurden grundsätzlich abgelehnt. Der Vorsitzende Tribunalrichter verkündete die Urteile und ließ sich von den Gefangenen zum Schluss die Kenntnisnahme der Urteile in einem Formu­lar quittieren. Wie viele Häftlinge nach der Urteilsverkündung feststellen konnten, entsprach ihre Sitzordnung während des Prozesses dem verkün­deten Strafmaß, das also bereits vorher festgelegt worden war. Eine Appellation gegen die gefällten Urteile war ausgeschlossen. Nur bei der Höchststrafe durch Erschießen war ein Einspruchsrecht vorgesehen. Die Tribunale richteten im Schnellverfahren und verhängten in vielen Fällen überhöhte Urteile. Die in der Mehrzahl nichtöffentlichen Verhandlungen wurden häufig ohne Verteidiger durchgeführt. Entlastungszeugen waren die Ausnahme. Weiterhin verhängte ein Sondertribunal des NKWD/MWD in Moskau sogenannte Fernurteile. Die derart Verurteilten wurden ausnahmslos in Zwangsarbeitslager der UdSSR deportiert. Ein Teil der zu 25 Jahren Zwangsarbeit Verurteilten inhaftierte die Besatzungsmacht in das Gefängnis Nr. 5 Neustrelitz, in Torgau und in den Straflagerabteilungen der Speziallager Bautzen und Sachsenhausen. Etwa 20 000 bis 25 000 deutsche Verurteilte kamen in Straflager auf dem Territorium der UdSSR.

4.19. Von einem Sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt – Erschossen in Moskau

Die Entwicklung der Todesstrafe in der Sowjetunion verlief in zwei Phasen: Die erste setzte mit dem Einmarsch der Roten Armee in Armee im Sommer 1945 ein und endete mit dem Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 26. Mai 1947 über die Abschaffung der Todesstrafe. In den folgenden drei Jahren galten 25 Jahre Haft als Höchststrafe. Man konnte daher vom zweifelhaften "Glück" sprechen, in diesem Intervall "nur" zur Höchststrafe von 25 Jahren verurteilt worden zu sein. Am 12. Januar 1950 beschloss das Präsidium des Obersten Sowjets das Dekret "Über die Anwendung der Todesstrafe gegen Vaterlandsverräter, Spione, subversive Diversanten". Die Erschießungen in Moskau begannen aufs Neue. In der SBZ fällte das Militärtribunal der Roten (ab 1946: Sowjetischen) Armee die Todesurteile: geheim, ohne das Recht auf Verteidigung, in russischer Sprache. Zuvor waren die Angeklagten oft wochenlang vom sowjetischen Geheimdienst verhört worden. Ein "Schuldeingeständnis" war nur eine Frage der Zeit. Seit 2004 wurden die Biografien von ca. 1 000 Deutschen recherchiert, die zwischen 1950 und 1953 vom obersten Militärtribunal der sowjetischen Besatzungstruppen in der DDR zum Tode verurteilt und in Moskau erschossen wurden. In den meisten Fällen war das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR federführend bei der Bespitzelung und Verhaftung. Namentlich bekannt sind nunmehr 927 deutsche Opfer sowohl aus der DDR als auch aus West-Berlin und Westdeutschland, die in geheimen Verhandlungen wegen "Spionage", "antisowjetischer Agitation und Propaganda" oder "illegalem Waffenbesitz" nach § 58 des Strafgesetzbuchs der RSFSR das Todesurteil erhielten. Nur in wenigen Fällen ergingen Todesstrafen wegen Kriegsverbrechen, die vor 1945 verübt worden waren. Nach ihren Prozessen durften die zum Tode Verurteilten ein Gnadengesuch stellen. In der Zwischenzeit wurden die Verurteilten über das Gefängnis Nr. 6 in Berlin-Lichtenberg und Brest-Litowsk vom sowjetischen Geheimdienst in getarnten Eisenbahnwaggons nach Moskau verschleppt. Nach der fast ausnahmslosen Ablehnung des Gnadengesuchs durch das Präsidium des Obersten Sowjets wurde das Urteil im Keller des Gefängnisses Butyrka vollstreckt. Noch in der gleichen Nacht ließ der sowjetische Geheimdienst die Toten im einzigen Krematorium der Stadt auf dem Friedhof Donskoje einäschern. Ihre Asche wurde im Umfeld des Krematoriums in Massengräbern verscharrt. Die Zahl aller auf dem Friedhof Donskoje bestatteten Opfer des NKWD/MGB wird auf mehr als 7 000 Personen geschätzt. Mehr als 50 Jahre waren die Schicksale dieser Menschen unbekannt. Nach den Verhaftungen blieben sie spurlos verschwunden; ihre Familien erfuhren nichts von ihrem Verbleib. Auch von den Hinrichtungen erfuhren sie nichts. Deshalb hofften viele Familien noch jahrelang auf die Rückkehr ihrer verschwundenen Angehörigen, obwohl diese schon lange tot waren. Sie konnten weder Abschied nehmen noch in Würde trauern. Die meisten Angehörigen erfuhren bis zu ihrem Lebensende nichts und nahmen die Ungewissheit mit ins Grab. Trotzdem sind bis heute noch nicht alle Fragen der durch die Tribunale Verurteilten geklärt. Noch gilt es, die genauen Umstände jener 1232 durch das NKWD/MGB vom Mai 1945 bis Oktober 1947 auf dem Boden der SBZ hingerichteten Deutschen aufzuklären. Ebenso sind bis heute die genauen Zahlen sowie die betreffenden Bestattungsorte der in den Arbeitslagern der UdSSR von regionalen SMT zum Tode verurteilten deutschen Häftlinge noch völlig unbekannt.